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Wie viel Storytelling brauchen Marken – Wie viel Story verträgt der Markt?

Text von Petra Sammer

437.000 Dollar. So viel zahlte der kanadische Unternehmer und Sneaker-Sammler Miles Nadal im Juli dieses Jahres für ein einziges Paar Schuhe. Und das Auktionshaus Sotheby’s meldete einen Rekordverkauf, denn noch nie wurde ein so hoher Preis für einen Turnschuh gezahlt.

Doch Nadal kaufte nicht irgendeinen Schuh. Es handelte sich um den legendären „Moon-Shoe“ von Nike aus dem Jahr 1972, den Nike-Mitbegründer Bill Bowerman anlässlich der Olympiade in München selbst entwarf und von dem es wohl nur zwölf Exemplare gibt.

A Shoe Story

Und man erzählt sich, dass sich Bowerman angeblich von seiner Frau das Waffeleisen ausgeliehen hatte, um der Gummisohle des Prototypen den nötigen Grip zu verleihen. Das Muster, das dadurch auf der Sohle entstand, erinnert an die berühmten Spuren, die Neil Armstrong 1969 auf dem Mond hinterließ. So bekam der Schuh seinen Namen: „Moon Shoe“.

Und tatsächlich hatte der Moon Shoe dank des Waffelmusters eine bessere Haftung und sogar mehr Dämpfung als die meisten Laufschuhe seiner Zeit. Es war die erste große Innovation der Marke Nike und das Paar, das Miles Nadal erstand, war von einem Nike-Mitarbeiter der ersten Stunde, Geoff Hollister, von Hand geschustert worden.

Warenwert oder wahrer Wert

Wer sich den zerzausten, fast fünfzig Jahre alten Schuh heute ansieht, kann kaum nachvollziehen, warum jemand fast eine halbe Million Dollar für so einen alten Latschen hinblättert und den bisherigen Weltrekord für Sportschuhe weit überbietet: 2017 hatte schon einmal ein paar Schuhe den Besitzer für eine Rekordsumme gewechselt. Für die Converse-Sneakers, die Michael Jordan im Finale der Olympischen Spiele 1984 getragen und später signiert hatte, wurden 190.373 Dollar gezahlt.

Es ist klar, dass es bei solchen Transaktionen nicht um den Warenwert geht. Was ist den Käufern in diesem Fall die Ware also wert? 

Für ein durchschnittliches Paar Turnschuhe zahlt der Deutsche 47,92 Euro. Doch der Adidas NMD Red Apple – zu Ehren der Eröffnung des Flagshipstores in New York erschienen – der einst 180 Dollar im Originalpreis kostete, werden heute 2.500 Dollar gezahlt. Auch der Adidas NMD Pitch Black, der nie wirklich auf den Markt kam und von dem einhundert Stück verlost wurden, ist den Fans heute 2.500 Dollar wert. Der Nike HyperAdapt 1.0 kostete ursprünglich 600 Euro. Der erste selbstschnürende Performance-Schuh hat jetzt einen Wiederverkaufswert von 2.200 Euro und der Adidas Pharrell Human Race NMD ist so selten, dass er für 10.000 Euro gehandelt wird. 

Spitzenreiter unter den teuersten Sneakers der Welt ist jedoch der Nike Air Mag 2016. Nachdem Michael J. Fox im Film „Zurück in die Zukunft II“ den Nike Air Mag getragen hatte, erschien 2011 erstmals eine limitierte Auflage, gefolgt von einer weiteren Auflage 2016 mit nur 89 Exemplaren. Der wohl teuerste Sneaker der Welt war niemals im Handel. Der Schuh wurde zugunsten der Michael J. Fox Foundation for Parkinson’s Research versteigert. 

Welche Story braucht die Marke?

Zwei Faktoren machen diese Produkte so wertvoll: Die Rarität und die damit verbundene Begehrlichkeit, vor allem aber die Geschichten und Mythen, die sich geschickt um diese Turnschuhe ranken (alle Stories zu den fünf teuersten Sneakers der Welt gibt es im RedBull Magazin online). 

Und es sind nicht irgendwelche Stories, die hier erzählt werden. Dass Geschichten maßgeblich zur Wertsteigerung von Produkten beitragen können, wiesen Joshua Glenn und Rob Walker bereits 2009 mit ihrem „Significant Objects“-Projekt eindrucksvoll nach. Doch welche Geschichten sind es, die Kunden dermaßen verzücken, dass sie bereit sind, so viel mehr zu zahlen?

Wer narratives Marketing betreiben will, wer die Kraft der Argumente um gute Geschichten erweitern will, sollte sich mit vier Story-Mustern auseinandersetzen. Plakativ zusammengefasst mit Heritage Stories, Reference Stories, Purpose Stories und Empathy Stories.

Wie alles begann

Heritage Stories scheinen gerade in Mode zu sein. Anfang dieses Jahres präsentierte Mercedes Benz einen Film über die erste Fahrt in einem Mercedes – hinter dem Steuer Bertha Benz, die in 12 Stunden 160 Kilometer zurücklegte, um in Pforzheim ihre Eltern zu besuchen. Und die Erste Bank und Sparkassen Österreich präsentieren einen Film über Marie Schwarz, die erste Kundin der Sparkassen, die vor 200 Jahren ein Sparbuch erstand. Historia ist also in. Der Blick in die Vergangenheit lohnt sich auf der Suche nach guten Stories. Ganz gleich, ob Sie im Gründungsmythos Ihrer Marke eine Frau finden, die Ihren Prototypen ausprobiert oder der Sie das Waffeleisen aus der Hand reißen, erfolgreiche Marken verorten sich räumlich und zeitlich durch einen visionären Gründermythos und werten ein Produkt dadurch auf.

Bezugspunkte schaffen

Psychologen schätzen an Stories, dass sie Zusammenhänge herstellen und Bezugspunkte schaffen. In jeder Geschichte suchen wir Bekanntes und Vertrautes, das wir mit unseren Erfahrungen abgleichen. So auch in Markenstories. Wie erbaulich, wenn eine Marke eine Geschichte bietet, die auf eine Story Bezug nimmt, die wir bereits kennen und wiedererkennen. Durch das Zitat beweist die Marke Zeitgeistqualitäten und als Zuschauer fühlt man sich intellektuell bestätigt. GE nutzte dieses Erfolgskonzept in der Kampagne „Brilliant Machines“ bereits vor etlichen Jahren. Aktueller ist da die großartige Stabilo-Kampagne „Highlight the Remarkable“, die zurecht zahlreiche Kreativawards gewann.

Einen guten Grund haben

Unilever CEO Alan Jope sorgte auf dem World Economic Forum in Davos dieses Jahres für Aufsehen, als er „Purpose“ über Profit stellte. Jope rief seine Brandmanager auf, für jede Marke ein klares Nutzenversprechen herauszustellen. Wer keinen sozialen oder ökologischen Nutzen nachweisen kann, der fliegt aus dem Unilever-Markenportfolio raus. 

Dabei geht es Jope nicht um Lippenbekenntnisse oder wie er es nennt „woke-washing“ , sondern um tatsächlichen Mehrwert – beste Voraussetzung für gutes Storytelling. Denn elementarer Baustein guter Geschichten ist es „einen guten Grund“ für eine Story zu haben. So wie Johnson & Johnson für den Dokumentarfilm „5B“  , der die Arbeit von Krankenschwestern ehrt, oder die Hommage an Wissenschaftler von DSM mit der Story „Unsung heroes of science”.

Ans Herz gehen – oder in die Magengrube

Und dann ist da noch Emotion pur. Wenn es nach Kommunikationsprofis geht, die ihre Eindrücke und Erfahrungen der Cannes Lions 2019 zusammenfassen, ist Emotion das letzte und einzige, was kommunikativ überhaupt noch funktioniert. Und je krasser, je besser. Starkes visuelles Storytelling wie „Viva la Vulva“ von Libresse ist hier gemeint, oder irritierendes wie „Termite-ator“ vom Insektenkiller Chaindrite.

Aber auch süß und rührend darf es sein, um unsere Aufmerksamkeit zu wecken, wie „Rang-Tan“ von Greenpeace  oder der Weihnachtsspot von John Lewis mit Elton John.

Ist also noch Platz für Geschichten?

Definitiv. Der Hunger auf gute Stories, die uns in die Vergangenheit blicken lassen, die uns erklären, wo wir herkommen und wo wir hingehen, die uns Bezugspunkte aufmachen und unsere Lieblingsstories zitieren, die uns zum Lachen bringen und zu Tränen rühren, die uns schockieren und aufmerksam machen – dieser Hunger ist noch lange nicht gestillt.

So wie der Hunger von Miles Nadals nach Sneakers. Nadal ersteigerte nämlich nicht nur die geschichtsträchtigen „Nike Moon Shoes“, sondern erwarb für insgesamt 850.000 Dollar noch 99 weitere Paar seltener Turnschuhe – und deren Geschichten.

 

Wer mehr wissen will über die Turnschuhe und ihre Stories und darüber, was man Kunden bieten muss, die weit mehr als die üblichen 0,7 Paar Sneakers pro Jahr kaufen, der kann sich auf der Plot19 auf Oliver Baumgart, Mitbegründer des Sneakers-Stores 43einhalb  freuen und erfahren, warum 43einhalb nicht nur bei der Schuhgröße über dem Durchschnitt liegt

Infos und Programm zum Storytelling-Forum Plot19 am 6.September in München unter www.whattheplot.com