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„Stories brauchen viel mehr Tiefgang“ – Filmemacherin Anna Moll über Storytelling mit Haltung

Anna Moll ist keine Unbekannte im Filmbusiness, vielmehr eine Koryphäe ihres Metiers: Sie ist eine prämierte und engagierte Produzentin und Filmemacherin. Als CEO und Creative Director von Molle & Korn kämpft sie für besseres Storytelling und für „Stories mit Social Impact“, für Geschichten, die mehr bewirken.

Derzeit wird viel über „Purpose Marketing“ gesprochen – wir wollten wissen, was es heißt, Geschichten mit Haltung zu erzählen. Herzlich Willkommen Anna Moll.

Interview geführt von Petra Sammer

Plot: Anna, du arbeitest als Regisseurin für eigene Projekte und NGOs, bist aber auch für Unternehmen und Marken tätig. Dein Ansatz, dass Geschichten einen sozialen Impact, eine Wirkkraft, entfalten müssen, lässt sich gut in deinen eigenen Themen und Stories für Organisationen und Stiftungen umsetzten. Funktioniert das auch für die Kommunikation profitorientierter Unternehmen und Marken?

 Anna Moll: Das kommt ganz auf deren Markenstories an, darauf was sie zu erzählen haben und wie sie erzählen. Zunächst aber ist mir wichtig zu betonen, dass Marken sich zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen zu Wort melden sollten. Marken sind Botschafter. Sie haben eine gewichtige Stimme. Und sie füllen ein Vakuum, das durch den Vertrauensverlust in ehemalige Institutionen wie Politik oder Kirche immer größer wird.

 Ist das denn die Aufgabe von Unternehmen, sich hier einzumischen? Marken haben doch zu den dringendsten Fragestellungen gar nichts zu erzählen?

Oh doch. Moderne, authentische Marken sollten unbedingt politisch sein und Haltung zeigen. Das muss Teil ihrer DNA sein. Das heißt, sie brauchen klare Botschaften, eine stringente Kommunikation und eine Meinung zu relevanten, aktuellen Themen, die sich nicht nur in aufmerksamkeitsstarkem Content ausdrückt, sondern auch in konkreten Taten und Aktionen.

Das ist aber ganz schön viel verlangt. Alles ist heute hochpolitisch und polarisierend. Sollte man sich als Marke da nicht besser raushalten?

Ich meine damit nicht, dass sich Marken „parteipolitisch“ äußern sollen. Es geht hier auch nicht darum, ein idealisiertes Wunschbild zu malen. Wir bewegen uns in einem kapitalistischen System, innerhalb dessen Unternehmen wirtschaftlich agieren müssen. Aber laut Duden heißt „politisch“ auch „auf ein Ziel gerichtet und klug“ reagieren. Und genau so will ich es verstanden wissen. Unternehmen sollten eine klare, zielgerichtete Haltung zu relevanten Themen haben, diese gegenüber Mitarbeitern und Kunden offen äußern – und sich dementsprechend verhalten. Bestes Beispiel ist das Modelabel Patagonia, das sich seit seiner Gründung für Umweltschutzthemen einsetzt und sich damit auch lautstark in die Umweltschutzpolitik der USA einmischt (zum Beispiel thematisiert der von Patagonia produzierte Dokumentarfilm „DamNation“ den Rückbau von Wasserkraftwerken und die Renaturierung fischreicher Flüsse in den USA / Anmerk. d. Redaktion).

Patagonia ist Vorbild für verantwortungsvolles Markenmanagement und großartiges Storytelling. Ein oft genanntes Beispiel. Darüber hinaus gibt es doch wenige Marken, die das auch so machen?

Jede Marke bringt ihre ganz eigenen Stories mit. Und klar, nicht alle Unternehmen sind Engelchen. Marken sind keine abstrakten Konstrukte, dahinter stehen Menschen und es liegt an ihnen, welche Stories sie erzählen und welche Geschichten aus der eigenen Vergangenheit sie mit aktuellen Themen verknüpfen wollen. Das Schöne am Storytelling ist, dass man die Welt nicht knallhart in schwarz und weiß unterteilen muss. Authentische Geschichten sind differenzierter und gehen tiefer. Deswegen setze ich in der Unternehmens- und Markenkommunikation sehr auf Storytelling. Mit einer guten Geschichte kann man intensiver und umfassender kommunizieren als mit flacher Produktwerbung. Schönes Beispiel ist die Fashionmarke Armed Angels aus Köln, die mit kurzen Stories die Nachhaltigkeit ihrer Produkte untermauert – das sind lesens- und sehenswert Geschichten ohne langweilig zu werden.

Die kommunikative Aufgabe von Marken geht, meiner Meinung nach, weit darüber hinaus, Produkte und Angebote lediglich zu beschreiben, zu erklären und anzupreisen. Marken haben die Aufgabe, Orientierung zu geben. Die Welt ist so kompliziert und Verbraucher suchen dringend Hilfe, sich darin zurecht zu finden. Sie suchen nicht nur nach Kaufempfehlungen, sondern auch nach Meinungen, Werten und Haltungsoptionen gegenüber gesellschaftsrelevanten Themen. Hier können Marken richtungsweisend sein.

Das ist doch genau das, was man unter „Purpose Marketing“ versteht. Warum steht diese Art der Kommunikation dann so stark in der Kritik?

„Purpose“, das ist so ein cooler Spruch. Ein Buzzword, das jetzt schick ist. Ein gefährliches Wort, denn zu viele springen spontan auf Themen auf, die nicht zu ihrem Unternehmen und der eigenen Marke passen. Da wird schnell eine schwarze Kachel auf Instagram gepostet und ein lifestyliges Response-Video gedreht, um Solidarität zu zeigen und sich dem Zeitgeist anzupassen.

Den meisten „Purpose-Stories“ fehlt es an „Deepness“, an Tiefe – inhaltlich und strategisch. Wer ein gesellschaftspolitisches, soziales oder ökologisches Thema aufgreifen möchte – und dazu will ich sehr raten – sollte sich zunächst überlegen, was zur eigenen Marken-DNA passt und wie man dieses Thema verbindlich kommunizieren und umsetzen kann. Tiefe heißt, nicht schnell einen Werbespot drehen, sondern vielfältige Stories anbieten, tiefer einsteigen, weniger simplifizieren und differenzierter erzählen. Spannend finde ich in diesem Zusammenhang den ganzen Bereich der Wissenschaftskommunikation. Wissenschaftler tun sich so schwer mit der Vermittlung von Informationen. Marken könnten hier mit gutem Storytelling helfen.

Tiefe heißt auch, ein Thema aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, nicht fertige Lösungen abliefern, Fragen stellen. Dialog und Diskussion anbieten, sich mit einem Thema intensiv auseinandersetzen und dafür Formate und Foren anbieten. Es geht nicht darum, ein Thema einfach anzustoßen, sondern es auch zu durchdringen. Und dem auch Taten folgen zu lassen.

Klingt, als ob du als Kreative von so einem Briefing wesentlich faszinierter bist, als vom Auftrag für einen üblichen Imagefilm.

Sicher ist für mich ein Storytelling-Konzept, das für eine klare Marken-Positionierung und Haltung wirbt, spannender und interessanter. Es ist aber auch erfolgreicher. Schon lange reicht es nicht mehr, all die schönen süßen Äpfel am Baum zu zeigen. Der Baum braucht auch Wurzeln. Verbraucher*innen werden kritischer und verlangen von Marken inhaltliche Tiefe – zu Recht.

Corona wirkt übrigens hier als Beschleuniger. Wir werden noch sehen, welche Auswirkungen diese Zeit tatsächlich auf uns alle hatte, aber eines kann man mit Sicherheit sagen, Verbraucher*innen werden sich in der Zukunft noch weniger mit platten Produktstories zufrieden geben und schneller oberflächliche Purpose-Stories auffliegen lassen.

An relevanten Themen und Problemen mangelt es derzeit ja nicht, aber welche Geschichten erzählt man am besten darüber? Laufen wir nicht Gefahr, dass wir dann immer wieder die gleichen Stories sehen? Bei den Response-Filmen rund um den Corona-Shutdown führte das ja schon zu einen ziemlichen Einheitsbrei. Welchen Rat hast du, um auf kreativere Stories zu kommen?

Das sage ich zunächst: „Vorsicht vor Aktionismus“ – auch wenn es einem in den Fingern juckt, auf ein aktuelles Thema aufzuspringen, sollte man nicht jede Welle reiten. Wir leben in einer Zeit großer Unruhe und bald schon kann das nächste Thema ums Eck kommen. Entscheidungen, die in Unruhe getroffen wurden, sind meist keine guten.

Andererseits gehen wirklich relevante Themen auch nicht über Nacht weg. Man kann sich also auch ein bisschen Zeit lassen – mit der Auswahl des passenden Themas und der Haltung, die man dazu ausdrücken will.

Corona bietet dabei eine interessante Chance, denn der Virus ist ein großer „Gleichmacher“. Wir alle sind in einer ähnlichen Lage und stehen ähnlichen Problemen gegenüber. Emotionalität und Empathie sind heute mehr denn je gefragt. Das heißt für uns Kreative, dass wir vor allem mit menschlichen Geschichten punkten, die emotionale Tiefe haben. Und viele Ansatzpunkte für diese Art Stories finden wir bei uns selbst. Es geht mehr denn je um die Frage „was berührt mich“, um Empfindungen und Bedürfnisse, die tiefer liegen als nur oberflächlicher Konsum. Einfach nur wo hinfahren und abfilmen, das reicht für diese Stories eben nicht mehr, sondern wir müssen uns auf die Suche nach tiefliegenden Needs, Ängsten, Sorgen, Wünschen und Sehnsüchten machen. Ein schönes Beispiel hierfür ist Airbnb. Corona ließ das Businessmodell des Reiseportals komplett kollabieren. Trotzdem hält das Unternehmen fest an seiner Grundidee, Menschen zusammenzubringen – und präsentiert anstatt ausgefallener Reiseziele und ungewöhnlicher Unterkünfte die Stories außergewöhnlicher Gastgeber und deren exotische Hobbies (die man zum Teil auch Online buchen kann, siehe Airbnb Experiences).

Markenpositionierung und -differenzierung funktioniert nicht, indem man einfach auf eine aktuelle Diskussion aufspringt und Meinungen nachplappert, sondern in dem man ein relevantes Thema findet, das zur eigenen Marken-DNA passt und das man authentisch und menschlich erzählt. Das heißt nicht als absolute Autorität und übermenschliche Marke aufzutreten, sondern als lebendiger Organismus mit Schwächen und Fehlern, aber auch mit dem Willen und der Power, die Welt ein klein wenig voranbringen zu wollen. Und Storytelling ist dafür ein sehr gutes Kommunikationsmittel.

 

Anna Moll wurde 1988 in Rostock geboren, studierte Fernsehproduktion und Journalistik in London und lernte ihr Handwerk u.a. im ARD Auslandsstudio London, bei der BBC und im UFA LAB Berlin. Sie sorgte für Aufsehen mit ihrem Online-Kurzfilm „Eine Botschaft aus der Zukunft“ für die Stiftung EVZ, gestaltet die Highlight Kampagnen der Tirol Werbung und ist verantwortlich für die ARTE-Dokumentation „Follow Me “ und die Webserie „I Follow“ über arabische Videoblogger in Syrien, Ägypten, Dubai und Saudi-Arabien. Sie wurde mit Preisen, wie dem Europäischen Medienpreis für Integration (CIVIS) und einem ADC-Preis (Film) ausgezeichnet und war mehrfach für den Grimme-Preis nominiert. Auf dem Z2X-Festival plädierte sie für Content, auf den man selbst stolz ist („Die Selber-geil-Schranke“), auf der re:publica trat sie vehement für Qualität statt Quantität ein („Tötet die Reichweitenpandas“) und auf der Plot18 verteidigte die engagierte Produzentin, Filmemacherin und CEO & Kreativdirektorin von Molle &Korn Deutschland als Storyteller-Land. Heute arbeitet sie als freie Creative Producerin und ist Mitgründerin der Kreativagentur und Produktionsfirma Molle&Korn, die sich auf die Entwicklung, Produktion und das Seeding von Online Filmen, Social Spots und Webserien fokussiert – zu gesellschaftlichen Themen und Marken, die sie unterstützenswert findet. Auszüge ihrer Arbeiten finden sich unter: www.molleundkorn.com/

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