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Es braucht Mut, um Haltung zu zeigen!

In den letzten Monaten haben wir gesehen, was es für Unternehmen und Marken heißt, in einer Krise Haltung zu beziehen („Adidas entschuldigt sich und zahlt“). Wie es sich anfühlt, wenn man Geschäftsmodell und Produktion komplett neu an einem „Purpose“ ausrichten muss („Prada schwenkt von Luxus auf Maskenproduktion um“). Und wie auf Haltung auch Taten folgen können („Unilever stoppt Werbung in Facebook und Twitter #StopHateForProfit“).

von Petra Sammer

Purpose Marketing wird in der Zukunft nur erfolgreich sein – und für Storyteller*innen attraktiv –, wenn es mehr ist als eine beliebige Kommunikationsstrategie. Mehr ist, als plattes Produkt-Marketing oder channeloptimiertes Content-Marketing. Purpose Marketing muss zu einem besonderen Anliegen werden – und zu einer Strategie, für die es, nach Corona, keine wirkliche Alternative gibt. Dafür braucht es Mut … und Geduld.

  • Mut, sich Zeit zu nehmen

Purpose Marketing heißt nicht, husch auf jeden Zug aufzuspringen. Es ist verlockend, schnell eine Meinung zu einem aktuellen Thema wie #BlackLivesMatter abzugeben. Aber muss man damit gleich Marketing machen? Wohl eher nicht. 

Das heißt nicht, gesellschaftspolitisch dringende Probleme im Unternehmen zu ignorieren. Aber dieser Job ist dann besser in anderen Abteilungen aufgehoben wie etwa Corporate Communications, HR oder Unternehmensstrategie. 

  • Mut, auf andere Themen zu setzen

Purpose Marketing heißt nicht Aktionismus oder gar Populismus. Zeitgeist drängt sich auf, doch gibt es so viele weitere Themen, die vielleicht aktuell keine Schlagzeilen machen, die aber Unterstützung brauchen und zu denen es dringend Haltung braucht. 

Erfolg ist nur dann garantiert, wenn Marke und Purpose, Businessmodell und Thema glaubwürdig zusammenpassen. Bestes Beispiel: Nike. Der Purpose, den sich der Sportartikelhersteller auf die Fahne schreibt, unterstreicht ausdrücklich das eigene Businessmodell: „Our purpose is to unite the world through sport to create a healthy planet, active communities and an equal playing field for all.“ (https://purpose.nike.com/). Bei Erfolgsfall profitieren also beide, eine Win-Win-Situation für Purpose und Marke. #BlakeLivesMatter zu unterstützen ist für Nike daher mehr als legitim. 

Ein ganz anderes Thema griff sich dagegen der Pharmakonzern Johnson&Johnson. Seit Jahren setzt sich das Unternehmen für Anerkennung und Würdigung der Arbeit von Pflegern und Krankenschwestern ein. Der von J&J produzierte Dokumentarfilm „5B“ über die Arbeit von Pflegern*innen von AIDS-Patienten in den 80er ist dafür ein herausragendes Beispiel. Ein Purpose, der während der Hochphase der Corona-Krise schmerzlich Aufmerksamkeit erhielt und für den J&J gerade jetzt glaubwürdig und authentisch wahrgenommen wird.

  • Mut zu erzählen, anstatt nur zu beeindrucken

Die Aufgabe von Purpose Marketing ist nicht, mehrheitsfähig zu sein, sondern Position zu beziehen. Für Marketing eine einfache Übung, ist es doch die ureigene Aufgabe einer Marke, sich auf einem Markt zu positionieren und aus der Masse herauszustechen. 

Wenn es aber darum geht, einen unbequemen „Purpose“ mit einer Marke zu verknüpfen, kann das schon mal zum Problem werden. Schließlich soll eine möglichst große Kundschaft erreicht werden. 

Das Ergebnis ist dann oft eine Kommunikation, die alles andere ist als hilfreich. Da wird an wohlklingenden Botschaften gefeilt, anstatt anzuecken. Da werden ästhetisch hochwertige Bilder produziert, anstatt brutale Wahrheit zu zeigen. Da werden fixe Lösungen präsentiert, anstatt Fragen zu stellen, da wird Perfektion gezeigt, anstatt Verletzlichkeit zuzulassen, es wird simplifiziert anstatt differenziert. Das Ergebnis ist Gefühlsduselei anstatt echter Empathie, Belehrung anstatt aktivem Zuhören, der klassische Imagefilm anstatt eines mutigen Dokumentarfilms.

Doch die alten Marketing- und Storytellingmodelle funktionieren nicht mehr. Nicht im Purpose Marketing und nicht in diesen neuen Zeiten. Der Futurist Jamais Cascio nennt unser Zeitalter „the age of chaos”, in dem VUCA (volatile/unberechenbar, uncertain/unsicher, complex/komplex und ambiguous/unklar) abgelöst wird von BANI (brittle/brüchig, anxious/ängstlich, non-linear/nicht linear und incomprehensible/unverständlich – Lesenswert ist der Blogbeitrag von Stephan Grabmeier zu Cascios BANI-Modell). Wir leben in einer Zeit, in der wir längst nicht mehr so tun können, als sei alles in Ordnung. Auch nicht im Marketing.

Wie sehr diese neue Welt das Storytelling ganzer Branchen verändert, kann man aktuell anhand der Kommunikation junger Fashionlabels sehen. Die einst als oberflächlich verschriene Branche präsentiert sich heute mit aktuellem Bezug, digital, modern und mit Tiefgang – interessant und lässig werden Designprozesse offen gelegt, Wissen vermittelt, Produktionsketten durchleuchtet, Vorhänge gelüftet und Einblicke gewährt, die früher nicht möglich waren.

  • Mut, sich messen zu lassen

“Erzählbar ist eine Geschichte dann, wenn sie bei ihrer Präsentation der Frage `Na und?´ entgeht.“ Marie-Laure Ryan / „Tellability“ in Routledge Encyclopedia of Narrative Theory

Kommunikation kann vieles. Sie kann den Scheinwerfer anwerfen, Aufmerksamkeit und Interesse wecken, Solidarität bekunden, Beistand geben, empfehlen, bitten und betteln. Aber auf all das kommt es am Ende nicht an. Purpose Marketing verschreibt sich einem Ziel, das die Mittel und Kompetenzen des Marketings weit überschreitet: ES MUSS SICH ETWAS ÄNDERN. 

Und das wird auf ganz anderer Ebene entschieden: außerhalb des Unternehmens beim Verbraucher, bei uns allen, und innerhalb des Unternehmens auf Vorstandsebene. Daher ist Purpose Marketing kein 100-Meter-Lauf, sondern ein Ultra-Marathon. Es braucht keine schnelle Insta-Story, sondern eine langfristige Kommunikations- und Unternehmensstrategie mit messbaren Zielen, die weit mehr umfassen als Reichweite, Conversionrate, Umsatzwachstum und Aktienkurs.

Es sind Ziele, wie sie Marc Pritchard, Chief Brand Officer von Procter & Gamble am 24. Juni 2020 bei den Cannes Lions Live in seiner Rede „Stepping Up“ verkündete:

“The past 100 days have brought clarity to what matters. The role of business in society has been forever disrupted. It is now inescapably clear that we have a responsibility to reinvent ourselves… from brands and companies that are all about themselves, to brands and companies that step up as both a force for growth and a force for good. (…)”

Seine Rede war eine Reaktion auf die katastrophalen Auswirkungen von Covid-19, eine Reaktion auf die Proteste in den USA anlässlich der Ermordung Georg Floyd, aber auch eine Reaktion auf die eigene Purpose Marketing Strategie, die P&G bereits seit 2012 konsequent verfolgt.

Diversity und Inklusion sind seit Jahren Marc Pritchards Schwerpunktthemen. Mit dieser Haltung hat der Markenchef den größten Werbespender der Welt zu einem kreativen Storytelling-Unternehmen geformt. Für Diskussion sorgten Geschichten aus dem Hause P&G, die auf die Benachteiligung von Frauen aufmerksam machten (wie Always #LikeAGirl oder Ariel #ShareTheLoad oder P&G We see equal), vor allem aber, die die Diskriminierung der Black Community in den USA anprangerten wie „The Talk“ (2017), „The Look“ (2019) und aktuell „The Choice“, eine Kampagne, die sich explizit an Weiße richtet, um ihnen ihre Wahlmöglichkeiten im Umgang mit Mitbürgern aufzuzeigen.

Doch Marc Pritchard geht in seiner Rede am 24. Juni 2020 einen Schritt weiter. Und er gibt vier Versprechen, an denen er sich messen lassen wird:

An dem Versprechen, dass P&G tatsächlich seine Personalpolitik ändert und dafür sorgen wird, dass mindestens 40 Prozent der Kollegen und -Kolleginnen mit multikulturellen Hintergrund eingestellt werden. Angefangen bei den eigenen Marketingteams in den USA, den Markenteams, aber die Quote gilt auch für alle Agenturen und Produktionsteams, mit denen P&G zukünftig zusammenarbeiten wird.

Pritchard wird sich messen lassen müssen an dem Versprechen, das Investment in „Black-Enterprises“ – Medienunternehmen, Agenturen und Marketingdienstleistern, die von Afroamerikanern geleitet und geführt werden – erheblich zu erhöhen, da diese in der Vergangenheit verhältnismäßig wenig Berücksichtigung fanden.

Er wird sich messen lassen müssen an dem Versprechen, dass er alle Marketingmaßnahmen der über 300 P&G-Marken weltweit einer Prüfung unterzieht, um zu gewährleisten, dass Minderheiten, insbesondere Schwarze, respektvoll dargestellt werden. 

Und P&G wird sich an dem Versprechen messen lassen müssen, heute und in Zukunft kein Medium, Netzwerk, Onlineplattform oder Programm zu unterstützen und mit Werbegeldern zu finanzieren, das Hass, Verunglimpfung und Diskriminierung gegenüber Schwarzen, Minderheiten, eigentlich gegenüber jedem Menschen duldet und verbreitet.

Wenn all diese nicht nur Wünsche von Marc Pritchard sind, sondern reale Ziele, wenn all dies Teil von Purpose Marketing ist und nicht nur ein paar bunte Werbespots, dann gibt es Hoffnung und dann ist Purpose Marketing auch nicht nur ein Glücksfall für Storyteller*innen, sondern auch ein Glücksfall für uns alle. Hoffen wir das Beste. Und tun wir unser Bestes dazu.