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Purpose Marketing – Die Büchse der Pandora des Storytellings

Purpose Marketing ist nicht neu, aber angesagter denn je. Kreative und Storyteller*innen lieben “Purpose”, denn jede gute Geschichte braucht auch einen guten Grund, erzählt zu werden. Wie schön, wenn das mehr ist, als nur ein Produkt auszuloben. Doch gut gemeint ist oft nicht gut gemacht und so mangelt es vielen „sinnstiftenden Markenstorys“ heute an Glaubwürdigkeit und echter Haltung. Petra Sammer plädiert für mehr Mut im Purpose Marketing, aber auch für mehr Geduld mit Marken. Denn eines ist klar, Erzählen allein reicht nicht mehr.

von Petra Sammer

„In the future, every of our brand will be a brand with purpose.” Vor genau einem Jahr, im Sommer 2019, sorgte Alan Jope, CEO von Unilever, mit diesem Statement für Aufsehen. 

Nun ist die Tatsache, dass ein Produkt einen Zweck, einen Purpose, erfüllen soll, eigentlich keine große Sache, eher eine Selbstverständlichkeit. Aber mit Purpose ist hier eben etwas anderes gemeint. Jope versprach, dass Unilever zukünftig nur noch Marken im Portfolio führen würde, die einen positiven sozialen oder ökologischen Beitrag leisten. Der Grund für diesen radikalen Umbau war nicht nur der Sorge um den Zustand der Welt geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass nachhaltige Marken besser performen. Alan Jope sah einen finanziellen Nutzen in „purposeful brands“ und er konnte diesen sogar nachweisen. Die sogenannten „Sustainable Living Brands“ von Unilever wuchsen im Schnitt um 69 Prozent schneller als herkömmliche Marken und auf ihr Konto gingen auch 75 Prozent des Umsatzwachstums des Konzerns. Nicht nur Investoren, auch Verbraucher und Presse wurden hellhörig. Der Guardian titelte: „Unilever warns it will sell off brands that hurt the planet or society. Marmite and Magnum among vulnerable brands as firm puts focus on sustainable business.” 

Heute, ein Jahr später, sind Marmite und Magnum immer noch Teil der Unilever-Familie. Schnell war für diese Genussmarken ein Purpose gefunden, schließlich kommen die Kakaobohnen für die Magnum-Schokolade aus ökologisch verantwortungsvollem Anbau und der Brotaufstrich Marmite erklärte seinen Usern, wie man „Hater“ in „Lover“ wandelt – mit Hilfe von Schlaftherapie.

Unilever hat Purpose Marketing nicht erfunden. Das Thema lag zu Beginn der 2000er, seit der aufflammenden Klimadiskussion in der Luft. So startete zum Beispiel Starbucks seine ersten Filialen in Deutschland 2002 mit dem Versprechen einer Win-Win-Situation für Kaffeeliebhaber und Kaffeeanbauer. Starbucks zahlte äthiopischen Kleinbauern einen fairen Handelspreis, half ihnen mit Mikrokrediten und gewährleistete so sich und seinen Kunden gleichbleibende Kaffeequalität.

Jahr um Jahr verzeichneten die Cannes Lions, das größten Werbe- und Kreativfestival der Welt, eine Zunahme an Kampagnen, die neben der Bewerbung von Produkten auch gesellschaftsrelevante und aktuelle Themen aufgriffen, während sich parallel die Kollegen*innen in der Unternehmenskommunikation und PR kritisch über die Werte und Leitbilder beugten, um abzuprüfen, ob der „Purpose“ auch zu Vision, Mission und zur Corporate Identity zum jeweiligen Unternehmen passe.

Purpose – ein Glückfall für Storyteller

“The story has to have a purpose, it has to be relevant, and it has to have a conclusion (…) Even in business situation, there has to be a reason for telling a story.” Peter Guber in “Tell to Win

Aus Sicht des Storytellers ist Purpose Marketing ein Geschenk. Denn Kommunikation, die ausschließlich auf Produktauslobung setzt, kommt kreativ schnell an ihre Grenzen. Und Produktwerbung, die immer wieder die gleichen Features auslobt, wird irgendwann langweilig. Noch dazu, wo USPs rar sind und es kaum Differenzierung unter Massenprodukten gibt. Wie kommunikativ auffallen, wenn es rational nichts zu erwähnen gibt? Was erzählen, wenn alles schon einmal gesagt wurde?

Da kommen neue Themen gerade recht. Noch dazu, wenn es sich um aktuelle Problemfelder handelt, über die jeder spricht. Purpose Marketing garantiert hohe Aufmerksamkeit – ganz ohne Produktneuheit oder Marken-Relaunch. Anstatt mit Ankündigungskommunikation zielt man mit interessanten Stories auf Kunden. 

Kein Wunder, dass Storytelling in Werbung und Online-Marketing boomt. Und auch kein Wunder, dass gerade breit aufgestellte Konsumgüter-Konzerne wie Unilever oder Procter & Gamble auf eben diese Methode setzen. Anstatt über Kochen, Putzen oder Waschen zu referieren, werden aufmerksamkeitsstarke Geschichten über das mangelnde Selbstbewußtsein von Frauen (Dove / Real Beauty), das Coming-of-Age junger Männer (Gillette / Go ask Dad) oder die Rollenverteilung in indischen Haushalten (Ariel / Share the Load) erzählt.

Warum auch nicht, bietet doch das „Erzählen“ wesentlich mehr Möglichkeiten, um komplexe, gesellschaftspolitische und ökologische Themen zu erläutern und einzuordnen als spöde Daten und Fakten. Noch dazu bringt eine gute Story auch die nötige Emotionalität mit, um Interesse, Likeability und Shareability zu wecken. 

Emotional aus dem Vollen schöpfen

Marketing der alten Schule setzte in der Vergangenheit vor allem auf zwei emotionale Trigger bei Kunden: Staunen und Freude. Da war das blasse Staunen, dass eine „innovative Margarine in neuer Verpackung“ auf den Markt kommt. Oder die helle Freude, dass eine „neue McDonalds-Filiale in der Nachbarschaft eröffnet“ und dass irgendein Sportler einen neuen Nike -Schuh designt hat. 

Zweifelhaft, dass das früher gewirkt hat. Zweifelsohne, dass das heute nicht mehr funktioniert. Gefühlstechnisch geht modernes Marketing viel tiefer unter die Haut und die Emotionalität kommt weniger vom Produkt, sondern von der Story. Zwei Beispiele: Da ist die Wut, die in der Story von Colin Kaepernick steckt, warum er während der U.S.-Hymne niederkniet (Nike / Ist only crazy). Oder der Stolz und die falsche Scham, wenn die Damenbindenmarke Libresse einen Tabuburch begeht und die Vulva klar sichtbar und deutlich, ästhetisch und bewundernswert abbildet und über sie erzählt (Libresse / Viva la Vulva).

Purpose Marketing bringt erzählerische Freiheiten und ungeahnte, kreative Möglichkeiten. Noch dazu, wenn Marken die Haltungsfrage nicht nur als kommunikative Technik sehen, sondern ihre gesamte Markenidentität am „Purpose“ sinnstiftend ausrichten. Wie Patagonia. Die Outdoormarke gilt vielen als ultimatives Vorbild in punkto Purposeful Brands und zählt auch zu den besten Storytelling-Brands weltweit. Aktuell kämpft das Unternehmen an der Seite der Ureinwohner Alaskas, den Gwich’in People, die seit hunderten Generationen mit ihrer traditionellen Kultur auf vorbeiwandernde Karibus angewiesen sind – gegen zwei Bedrohungen: den Klimawandel und eine neue Ölpipeline. Die sehenswerte Story trägt den bezeichnenden Titel „The Refuge“.

Purpose – Fluch des Storytellings

Doch bei aller Euphorie für die neue Art des Marketings, es bleibt Marketing. Nike verkauft Sportartikel und Patagonia will Snowboarder, Fliegenfischer, Kitesurfer, Taucher, Kletterprofis und Outdoorfans für sich begeistern.

Auch wenn soziale und umweltpolitische Themen durch das Engagement von Marken zusätzliche Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit bekommen, so dient diese Kommunikation letztendlich einem Ziel: der Vermarktung eines Produktes und der Beeinflussung von Kaufentscheidungen.

Und unter diesem Licht gerät Purpose Marketing zunehmend unter Druck. Und mit ihm alle Storyteller*innen, die sich dieser Art der Werbung verschrieben haben. Noch dazu, wo es zahlreiche Unternehmen, Marken und Agenturen zum Teil arg überziehen.

Noch im April diesen Jahres war auf der Onlineplattform des t3n-Magazines zu lesen: „(…) ´Marketing mit Haltung´, also Purpose-Marketing, hat sich in den letzten Jahren vor allem deshalb so dominant entwickelt, weil es auf die Logik der Social-Media-Kanäle einzahlt. Denn im Kern führt eine klare Meinung zu Interaktionen: Nutzer fühlen sich durch einen polarisierenden Inhalt geradezu zu einer Reaktion gedrängt. Stimmen sie dieser Haltung zu, äußern sie das in einer positiven Reaktion und profilieren oder positionieren sich mit dieser Haltung selbst. Lehnen sie die Haltung ab, folgt eine negative Reaktion mit derselben Absicht (profilieren, positionieren). Beides führt unmittelbar zu einer gesteigerten Sichtbarkeit in den sozialen Medien, da die Algorithmen diese Posts beziehungsweise Kampagnen als relevanter für die Nutzer einstufen.“ (Manuel Kuhn, t3n, 12.3.2020)

„Resonanzfähigkeit“ ist also die neue Währung und um diese zu erreichen, ist jedes Thema recht. Stop, nicht ganz. Es ist jedes Thema recht, das gerade en vogue ist. Umweltthemen sind derzeit weniger gefragt, Gendergerechtigkeit und die Anerkennung der LGBT-Community ist auch ein wenig aus der Mode geraten, Migrations- und Flüchtlingsfragen waren 2015 aktuell, könnten aber wieder interessant werden. Gerade ist eben #BlackLivesMatter angesagt.

Denn so Manuel Kuhn weiter: „War es in den vergangenen Jahren so, dass Marken politische oder polarisierende Themen umschifften, um gerade eben nicht Teil einer gesellschaftlichen Diskussion zu sein, ist heute genau das Gegenteil der Fall: Resonanzfähige Botschaften sind eine vielversprechende Strategie.“

Doch das Schielen nach dem Zeitgeist führt zu Beliebigkeit. Die unzähligen und gleichförmigen Solidaritäts-Videos des Corona-Response Marketings vieler Marken sind bestes Beispiel. Überstürztes Hijacking aktueller Themen führt dann auch zu aufgesetztem, effekthascherischem Storytelling und einem Purpose Marketing, das derzeit zu Recht in der Kritik steht.

Also, Bitte: Haltung zeigen

„Als Pandora die Büchse öffnete, entwichen ihr alle Laster und Untugenden, die die Menschheit bis dahin nicht gekannt hatte. Als einziges Positives enthielt die Büchse die Hoffnung. Bevor diese entweichen konnte, wurde die Büchse wieder geschlossen.“ Hesiod, 700 v. Chr.

Die Büchse des Purpose Marketings steht weit offen. Aber es besteht Hoffnung. Denn mit der größten Krise nach dem Zweiten Weltkrieg, der wir uns derzeit stellen, mit Corona, kommt auch die Chance, Marketing und Kommunikation zu hinterfragen und neu zu ordnen.