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„Es sind die kleinen Stories, die jetzt wirken“

“Wo kommt der Stoff für gute Stories her?“ – unter diesem Motto war Moritz Meyer, Online-Redakteur und Storyteller, zu Gast auf der Plot18-Bühne. Heute – inmitten der Corona Krise – bitten wir ihn mit dem gleichen Thema zum Plot-Interview. In Krisenzeiten stellt sich nicht nur die Frage, ob Storytelling überhaupt ein probates Mittel ist, um den Informationshunger und Wissensdurst des Publikums zu stillen. Gleichzeitig stellen wir auch die Frage, welche Stories heute denn noch angebracht sind. Herzlich Willkommen, Moritz Meyer.

Interview von Petra Sammer

Plot: Moritz, während der Corona-Krise starren alle auf Infektionszahlen, Sterberaten und Pandemiekurven. Die neuen Helden sind Virologen, Ärzte und Pandemieforscher. Es scheint ein neues Zeitalter der rationalen Information angebrochen zu sein. Daten, Fakten und Statistiken sind allgegenwärtig. Hat das Storytelling ausgedient?

Moritz Meyer: Auf den ersten Blick spielen Zahlen und Fakten jetzt eine größere Rolle als noch vor einigen Monaten. Aber letztendlich helfen uns diese Daten alleine nicht viel. Fakten werden für Laien erst transparent und verständlich, wenn sie in einen Kontext gebracht werden. 

Jemand wie Christian Drosten ist für mich nicht nur Wissenschaftler, sondern gleichzeitig auch Storyteller. Und der Podcast, den der NDR mit ihm macht, ist eine sehr gelungene Form von seriellem Erzählen. Denn seien wir doch ehrlich: niemand von uns liest sich eine medizinische Studie durch. Wir hören erst zu und verstehen die Hintergründe, wenn uns der „Virologe der Nation“ eine Geschichte dazu erzählt. 

Das geht ja inzwischen soweit, dass in Nordrhein-Westfalen der Bonner Virenforscher Hendrik Streeck mit der Agentur Storymachine zusammengearbeitet hat, um seine Feldforschung zu präsentieren. Hendrik Streek gilt ja als Wissenschaftler, der dem Lockdown und den damit verbundenen Einschränkungen kritisch gegenübersteht. Und jetzt kommen professionelle Storyteller, die rund um seine wissenschaftliche Studie eine Kampagne gestrickt haben. Es gab einen Spannungsbogen, Botschaften, die zur richtigen Zeit mit dazu passendem Hashtag gesendet werden mussten, alles mit Bildern von professionellen Fotografen in Szene gesetzt. Dadurch entstand natürlich der Eindruck, dass die öffentliche Meinung in eine bestimmte Richtung gedreht werden sollte. Persönlich finde ich nicht, dass sich diese Vorgehensweise mit einer wissenschaftlichen Studie verträgt, die mit Steuergeldern finanziert wurde. Aber aus Sicht des Kommunikationsprofis finde ich es hochspannend, wie die Wissenschaftler die unterschiedlichen Kanäle bedienen, um die Öffentlichkeit zu erreichen. 

Also, um die Frage zu beantworten: Storytelling hat keineswegs ausgedient, sondern ist heute wichtiger denn je.

Wissenschaftskommunikation scheint das neues Erfolgskonzept zu sein, um beim Publikum durchzudringen. Doch nicht jeder verfügt über aktuelle Studien und frische Forschungsberichte. Du arbeitest als freier Journalist, aber auch im Auftrag von Unternehmen und Mittelständlern. Welche Art von Geschichten sind für die Unternehmenskommunikation interessant und relevant? Welche Art Storytelling funktioniert hier?

Christian Drosten, Hendrik Streek oder auch Alexander Kekulé sind wie die Protagonisten in einem Superheldenfilm. Sie kämpfen mit ihren Mitteln gegen die Bedrohung und je nachdem, wie man persönlich die Maßnahmen bewertet, gibt es auch eine Rollenverteilung zwischen “Gut und Böse”. Das ist die große Geschichte, quasi die „Metastory“. 

Ein realistisches Bild machen wir uns aber erst auf der persönlichen Ebene. Und dafür braucht es die kleinen Stories, die alltäglichen Geschichten von nebenan. Erst diese machen eine Krise, einen Ausnahmezustand, wie wir ihn derzeit erleben, begreifbar und verstehbar. Den großen, übergeordneten Pandemie-Stories von Drosten & Co. widmen wir unsere Aufmerksamkeit. Empathisch reagieren wir aber erst auf die kleinen Geschichten, die Stories über die Nachbarn, die Freunde, die Menschen wie du und ich. Das sind die Geschichten, die uns berühren und die wir uns langfristig merken werden. Ich habe ja auch einige Jahre als Lokaljournalist gearbeitet. Es erstaunt mich immer wieder, wie kraftvoll diese kleinen Stories sind. Darum würde ich auch Unternehmen empfehlen, jetzt genau hinzusehen und die kleinen Helden und Alltagsstories und Anekdoten zu suchen und zu erzählen. 

Der Lock down war für alle eine komplett neue Erfahrung. Und die Welt kam fast zum Stillstand. Gleichzeitig wurde aber eine neue Energie und Dynamik geweckt – und überall poppten plötzlich Stories auf.

Richtig. Ich fand es großartig, dass so viele Leute in dieser Zeit selbst zu Storytellern wurden. Am Anfang sah man vor allem Dokumentationen. Die Leute filmten sich selbst in der Quarantäne oder erzählten in Form von Blogs oder Instagram-Stories von diesem neuen Alltag. 

Nach einer Weile gab es dann aber einen richtigen Kreativitätsschub und es wurden tolle, fantasievolle Home-Stories veröffentlicht. Wunderbar die Minigeschichte „Freeride at Home“. Der Fotograf Philipp Klein erzählt und visualisiert eine Skitour, die eigentlich in den französischen Alpen stattfinden sollte. Dann aber eben auf dem heimischen Parkett stattfindet. Oder der optische Trick, mit dem sich ein Vater vor seinen Kindern versteckt („Dad creates couch camoflage to hide from kids during self quarantine“) – all dies sind kleine Geschichten und kreative Impulse, mit denen wir uns von den Sorgen und dem Stress der Krise ablenken. 

Skifahren scheint ja ganz besonders zu inspirieren… „Freeride at Home“ wurde zum viralen Hit, aber auch das Video eines Vaters in UK, der seinen zwei kleinen Töchtern im Garten einen Skilift baut, weil die Skiferien ausfallen. All diese Geschichten bestechen durch Hingabe und Liebe zum Detail. Und jeder Menge Humor. Gilt dieses Rezept auch für Unternehmen und Marken?

Mit Humor ist das so eine Sache. Denn die Lage ist ernst und das will man von Unternehmen auch reflektiert sehen. Für Storytelling in der Unternehmens- und Markenkommunikation steht nicht so sehr der Unterhaltungswert im Vordergrund, sondern eher Aspekte wie Authentizität, Ehrlichkeit und Solidarität. 

Geschichten müssen transparent erzählt werden, offen und ehrlich. Entscheidend ist, dass sich Unternehmen solidarisch und gemeinschaftsorientiert präsentieren. Genau das haben adidas und andere Marken, die früh angekündigt haben, Mietzahlungen zu stoppen, unterschätzt. Rein wirtschaftlich mag dieser Entscheidung vielleicht eine nachvollziehbare Einsparung gewesen sein, aber emotional und kommunikativ war dieser Schritt in der Öffentlichkeit und gegenüber Fans der Marke nur schwer vermittelbar. 

Verändern sich hier Erzählmuster und Wertvorstellungen?

Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass sich die Art des Erzählens ändert oder gar Markenwerte über Bord geworfen werden. Was sich verändert, sind Prioritäten und die Linse, unter der Stories betrachtet werden. 

Neben wir zum Beispiel die Shitstorms, denen viele Prominente plötzlich ausgesetzt sind. Wie immer haben Celebrities einfach Home-Stories veröffentlicht und gezeigt, wie sie den Lockdown zuhause verbringen. Doch anstatt dafür bewundert zu werden, bekamen Madonna, Jennifer Lopez und Co. auf Social Media den Spott und die Wut der Follower ab. Wer die Krise in einer millionenteuren Strandvilla oder auf einer Superyacht verbringt, braucht eben nicht auf Mitleid zu hoffen. Der ist auch nicht “wie alle anderen”.  

Gefeiert werden dagegen Menschen, die sich schnell in den Dienst der Sache stellen und Unterstützung anbieten. Die Jugendtrainer der Basketballer von Alba Berlin haben das mit ihrer täglichen Sportstunde für Kinder auf YouTube gezeigt. Alba Berlin hatte auch schon vor Corona-Zeiten einen YouTube-Kanal. Der dümpelte nett vor sich hin, war ein klassischer Fan-Channel mit den üblichen Basketball-Videos und Clickraten um die 5.000 pro Video. Die Alba Berlin Sportstunde haben bis zu 1,5 Millionen Menschen angeschaut. Hier werden Fans rekrutiert, die lange über die Corona-Krise hinaus bleiben werden.

Ein schöner Beweis für die Kraft von Storytelling. Schließlich gibt es in den Sportstunden nicht nur schnöde Fitnesstipps. Nein, die Kinder bekommen in jedem Video auch eine kleine Geschichte erzählt. Ich hoffe sehr, dass Alba Berlin dieses Konzept lange beibehält.

Und das ist auch schon das Stichwort für unsere letzte Frage: du bist seit Jahren ein genauer Beobachter von YouTube. Noch vor einiger Zeit hast du den Verfall und die Verrohung vieler YouTube-Videos und auch die Banalisierung durch YouTuber kritisiert. Wie siehst du die Plattform heute?

Selbstverständlich profitiert YouTube vom Lockdown. Hier kann man wunderbar Zeit totschlagen. Mit unterhaltsamen Videos, aber auch Infos. Was ich gut finde ist, dass YouTube endlich Anstrengungen unternimmt, um Fake News und unseriöse Quellen zu unterbinden und die Qualität der Inhalte zu verbessern oder besser identifizierbar zu machen. Verstärkt wird auf zuverlässige Quellen verwiesen. Noch besser ist, dass der Content jetzt im Kontext angezeigt wird. Zu einem Video werden weiterführend Links und zusätzliche, relevante Infos angezeigt. Dadurch lassen sich Inhalte besser einordnen. Schön zu sehen ist auch, dass Wisssenschafts-YouTuber wie Mai Thi oder Mirko Drotschmann populärer werden. 

Insgesamt sehe ich vor allem aber die Renaissance eines alten Formates, das wir alle schon für tot erklärt hatten: „User Generated Content“. Die kleinen Alltagsgeschichten, die ich anfangs erwähnt habe, sehen wir jetzt überall auf YouTube, aber auch auf Instagram oder TikTok – handgemachte Inhalte. Kleine Stories, authentisch, spontan, direkt und echt – mit minimalen Mitteln produziert. Genau der Content, mit dem YouTube einst angefangen hat – diese Stories sind heute wieder ganz groß. Frei nach dem Motto: Jeder soll seine eigene Geschichte erzählen. Und am Ende ist das doch ein kleiner, positiver Beitrag, den wir aus dieser Krise ziehen.

 

Moritz Meyer, ist Online-Redakteur bei der Kölner Kommunikationsberatung NetFed. Außerdem schreibt er für das Online-Magazin “Digitale Leute” über digitale Produktentwicklung. Sein Laster: Er guckt viel zu viele Serien – zum Glück, denn auch während der Corona-Krise erfreut er seine Leser und Star Trek Fans mit ausgezeichneten Filmkritiken zu den Serien STAR TREK DISCOVERY und PICARD. Außerdem unterstützte er die Grundschulklassen seiner beiden Kinder mit regelmäßigen Videkonferenzen. Die Learnings, Tipps und Tricks, die er dabei sammeln konnte, sind nicht nur für Eltern und Lehrer interessant. Alles, was man mit Kindern in Videokonferenzen beachten sollte, gilt auch für Erwachsene. Sein Blogbeitrag ist absolut lesenswert.

 

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