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Die Balance zwischen Story und Fakten finden – Blitzlicht auf die Storytellingkonferenz Plot19

„Kann man Storytellern Glauben schenken? Dann stehen Sie jetzt bitte auf,“ – als Petra Sammer diese Frage den Gästen der Storytelling-Konferenz Plot19 in München stellte, erhoben sich etwa einhundert Konferenzteilnehmer – Unternehmenssprecher, Kommunikationsprofis und Filmemacher – von ihren Sitzen im Audimax der Hochschule für Film und Fernsehen und bekundeten ihr Vertrauen in Storytelling. Einhundert von insgesamt zweihundert Teilnehmern und Teilnehmerinnen einer Konferenz, die interdisziplinär Marketing, PR, Journalismus und Filmindustrie zusammenbringt, um branchenunabhängig voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu inspirieren. 

Einhundert, die standhaft Storytellern Glauben schenkten. Das ist eine Rate von fünfzig Prozent. Nicht schlecht für ein Jahr, in dem der Begriff „Storytelling“ durch den Relotius-Skandal, durch die Enthüllungen um Fake-News und wachsende Angst vor Deep-Fake arg erschüttert worden war. 

Aber da sind auch die anderen Einhundert. Die, die sitzenblieben und zum Ausdruck brachten, dass sie Storytellern keinen Glauben schenken. Und das ist sind keine guten Nachrichten für eine Zeit, in der wir Geschichten dringender denn je brauchen. Geschichten, die Fakten begreiflich machen. Geschichten, die die Welt verstehbar machen. Geschichten, die Menschen vereinen. Geschichten, die Hoffnung machen.

Es steht also 50:50. Fifty fifty. Unentschieden. 

Fast jede Session der Plot19 beschäftigte sich direkt oder indirekt mit dem Thema „Glaubwürdigkeit“. In jedem Bereich ringen Kommunikatoren derzeit mit der Technik des Storytellings, hinterfragen Machart, überprüfen Regeln und justieren den eigenen ethischen Kompass. Das passiert in der Marketingkommunikation, in der PR, im Dokumentarfilm, in Infotainment und Unterhaltung, ganz besonders im Journalismus und in der politischen Kommunikation.

Und auch wenn es auf die Frage, mit welchen Mitteln wir Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, keine einfache Antwort gibt, so gaben die Plot-Speaker doch einige Ratschläge, die man sich zu Herzen nehmen sollte:

Das Geschenk einer Tomate

Raimar Heber, Art Director von dpa-Infografik, schenkte uns deswegen eine Tomate. Fakten sind ein fragiles Gut – ganz ähnlich wie Tomaten. „Stellen Sie sich vor, Sie werfen Ihrem Gegenüber eine reife Tomate zu,“ so Heber auf der Plot19. Als Tomatenwerfer sollten Sie achtsam werfen und gewährleisten, dass derjenige, dem Sie zuwerfen, aufmerksam ist. „Wenn Sie eine einzige Tomate werfen, und Sie dies vorsichtig tun, kann es sein, dass Ihr Gegenüber die Tomate auffängt. Stellen Sie sich nun aber vor, Sie werfen einen ganzen Eimer voller Tomaten. Wie viel davon fängt Ihr Gegenüber dann auf? Es kann gut sein, dass keine einzige Tomate aufgefangen wird. Und genau das machen wir oft in der Kommunikation. Wir packen so viele Fakten in eine Geschichte – einen ganzen Kübel von Tomaten – und werfen dies dem Publikum zu. Kein Wunder, dass diese Kommunikation ihr Ziel verfehlt.“ Gute Geschichten bestechen durch Klarheit und Einfachheit. 

 

Bewusste Entscheidungen verantwortungsvoll tragen

Die Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Annika Schach beobachtet und erforscht „Storytelling“ als Kommunikationsinstrument schon lange. In ihren Büchern und Aufsätzen seziert sie die elementaren und sprachlichen Aspekte guter Geschichten, verweist auf die Simulation von Nähe und Unmittelbarkeit durch den Einsatz von Präsenz und Zitaten, hebt die Subjektivität und Imaginationskraft bildgewaltiger Attribute und Adjektive hervor und weist auf die Lenkung des Blickwinkels und der Perspektive mit Hilfe von aktive Verben und überschaubare Satzkonstruktionen hin. Schach ist aber nicht nur Theoretikerin, sondern auch erfahrene PR-Frau. Und als solches weiß sie um die Macht der Story und beobachtete genau den Siegeszug dieser Technik in der Disziplin der Public Relations in den letzten Jahren. 

Wenn wir weiterhin und sogar verstärkt Storytelling in der Unternehmenskommunikation einsetzen wollen, dann sollten wir das mit einem hohen Verantwortungsbewusstsein tun und transparent erzählen – eine Forderung, die auch von der Filmerin Pauline Roenneberg auf Plot19 unterstützt wird. Die Dokumentarfilmerin, die mit ihrer Serie „FRÜHER ODER SPÄTER“ für den Bayerischen Rundfunk bekannt wurde, bekennt sich glasklar dazu, dass sie als Erzählerin Einfluss nimmt auf eine Geschichte. Denn was eigentlich PR-Stories nachgesagt wird, gilt im weiteren Sinne auch für Dokumentarfilm und jegliche Story. Roenneberg bekennt sich zur Subjektivität der ihrer Story. Sie kommuniziert offen und transparent gegenüber ihren Zuschauern, dass sie Realität verdichtet und den Blick des Rezipienten bewusst lenkt. Das Erfinden von Fakten und Details verbietet sich – da zieht die Dokumentarfilmerin eine rote Linie. Ihr Blick auf die Welt ist kein fiktiver – das bleibt fiktionalen Storytellern überlassen. Aber es ist ein selektiver und diese Selektion liegt in ihrer Verantwortung. 

Wenn wir Geschichten erzählen, fällen wir immer Entscheidungen. Entscheidungen darüber, was wir erzählen und was nicht. „Mit der Verantwortung über die Selektion einer Geschichte ist ein Storyteller alleine. Er oder sie allein muss sich dieser Verantwortung bewußt sein und sie auch alleine tragen,“ sagt Pauline Roenneberg über die Bürde des Storytellers, die es zu tragen gilt, ganz egal in welchem Bereich man Storytelling betreibt – ob als Journalist, als Marketingprofi oder als Filmemacher.

In die Karten blicken lassen

Doch in Zeiten wie diesen gilt es diese Entscheidungen nicht nur zu fällen und zu tragen, sondern auch offenzulegen. Storyteller sind heute mehr denn je gefragt, um ihre Geschichten herum zu erzählen – transmediales Storytelling ist das Buzzwort der Stunde. Damit ist nicht nur gemeint, dass man ein Story-Universum schafft, das sich aus einer Core-Story heraus entwickelt und das Publikum immer weiter einspinnt (unerreichtes Vorbild ist das „Star Wars Universum“ mit seinen Filmen, Serien, Games, Spielzeugpuppen, Merch, Franchising und Lizenz-Produkten, Erlebnisparks und Themenauskopplungen). Damit ist auch gemeint, dass man sich offen und ehrlich in die Karten blicken lässt, das Making-Of einer Geschichte erläutert, die Autoren dahinter offenlegt und Zugang zu ihnen gewährt, die Intension einer Geschichte transparent kommuniziert und Publikum und Zielgruppen auch eine Möglichkeit des Dialoges rund um die Story anbietet.

 

The New Frontier of Storytelling

Vorbei sind nämlich die Zeiten, wo ein Publikum stumm und ehrfurchtsvoll, vor allem aber passiv und geduldig einer Story lauschte und der Storyteller als uneingeschränkte Autorität eine Geschichte ausbreitete und zu Ende führte. Ein modernes Publikum, neue Zielgruppen wollen mitreden, mitmachen, miterzählen. So fordert die Plattform Agnostic Writerin Nosa Eke radikal, dass Geschichten zukünftig nur noch im Dialog mit dem Publikum entstehen sollen. In welche Richtung dies gehen kann, war anhand der Instagram-Story-Serie „Karma“ der finnischen Filmproduzentin Ronja Salmi zu sehen. Und auch die WhatsApp Story „Ich, Eisner“ des Bayerischen Rundfunks ist ein gelungener Versuch in diese Richtung. All diesen Projekten gemeinsam ist nicht nur die Bereitschaft zum Zuhören und zum Austausch mit Publikum und Zielgruppe, sondern auch der Mut, eine Geschichte offen zu erzählen. Oliver Baumgart, Storyteller des Sneaker-Onlineshops 43einhalb brachte diesen Gedanken wunderbar auf den Punkt: „Geschichten passieren da, wo man sie nicht erwartet.“ 

Fifty Fifty

Also, wir haben es noch in der Hand. Noch können wir die Entscheidung zugunsten des Storytellings drehen. Doch wir müssen klarer, transparenter, offener und besser erzählen – in ausgewogener Balance zwischen Fakten und Story. 

Es liegt an uns, das Werkzeug „Storytelling“ richtig einzusetzen. Die Verantwortung für jede einzelne Geschichte zu übernehmen – ganz egal ob in PR, Marketing, im Film oder im Journalismus. Als Storyteller haben wir ein machtvolles Werkzeug in der Hand – es liegt ganz an uns, wie wir damit umgehen – und damit auch, ob man uns in Zukunft Glauben schenkt.

 

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