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Der Klang einer Geschichte

Während Musik sich derzeit vermehrt der visuellen Memes von TikTok bedient, um in Hitsphären vorzudringen, fehlt Serien oft der Mut, ihre Geschichten mit prägnantem Soundtrack zusätzlichen Charakter zu verleihen, Erzählwelten auch hörbar zu machen und sich aus dem Meer von Konkurrenten abzuheben

von Gerhard Maier

Die faktischen Eckpunkte innerhalb derer sich Content aktuell platzieren muss, um erfolgreich zu sein, sind klar gesteckt: Mehr und mehr medialer Content buhlt auf einer immer größeren Anzahl von Kanälen um Aufmerksamkeit. Der Zeitraum, um sich prägnant in die Aufmerksamkeitssphäre des potentiellen Publikums zu stehlen, ist kürzer denn je. In Zeiten von content overload und content clutter werden jene Künstler zu globalen Popstars, die es am besten verstehen, wie sich diese Mechanismen effektiv nutzen lassen.

Der kometenhafte Aufstieg einer Generation junger Rapper, Musiker und Produzenten zeigt eindrucksvoll, wie diese die ihnen beim Erstkontakt zur Verfügung stehende Zeitspanne nutzen, um im Gedächtnis zu bleiben. In der Art wie sich das Publikum mit Songs auseinandersetzt, wie sich Musik verbreitet und wie neue Zuhörer damit interagieren, scheint – wieder mal – eine neue Ära angebrochen. Die neuste Plattform der Wahl für junge Künstler ist social media– und mobile video sharing-Supernova TikTok, die auf effektive Weise die beiden Sphären von Musik und Meme miteinander vereint. Findige Künstler, Bands und Promoter wissen die Macht der Verbindung aus visuellem Code und griffigen Hits zu nutzen.

 

Memes Are The New Popstars

Aktuelles Beispiel sind Künstler wie Sueco The Child und Lil Nas X bei denen rein musikalische Aspekte in den Hintergrund treten, wenn es darum geht Aufmerksamkeit zu erzielen. Als zum Start des Science Fiction-Films BIRD BOX Netflix Ende 2018 mit geschickter Kampagne das Thema viral auf Netzwerken wie Instagram platzierte, machten „Challenges“ die Runde, in denen User Alltagsdinge blind mit Augenbinde verrichteten. Sueco nutzte die daraus entstandene Meme als Aufmerksamkeitsgenerator und produzierte seinen nächsten Beat blind.

Bereits zuvor hatte er bewiesen, dass er ein Meister darin war, Gimmicks zu nutzen, um Klicks zu erzeugen: Hier ein Beat, den er in nur fünf Minuten produzierte , dort einer, der mit Hilfe des Hinterns einer Twerktänzerin entstand. Das Publikum leitete er dann einfach auf seine Soundcloud-Seite weiter. Der wahre Durchbruch kam für Sueco, als er einen befreundeten TikTok-Influencer bat, seinen Song FAST auf seinem Kanal zu featuren. Innerhalb kürzester Zeit verbreitete sich das 15-sekündige Intro zu FAST wie ein Lauffeuer über TikTok, Hunderte User lieferten – wie bei TikTok üblich – ihre Interpretation aus Tanz, Lipsynch und visuellen Gimmicks. Das Resultat: FAST wurde in 3,5 Millionen TikTok-Clips genutzt, der Song 22 Millionen mal auf Spotify gestreamt, Sueco kurz darauf vom Label Atlantic gesignt.

Wie TikTok-Challenges Musikerstkontakt und Absatz treiben, zeigen weitere Beispiele wie die „Photo Pause Challenge“, die „Gun Challenge“ oder die „Bury A Friend-Challenge“. Vorzeigekandidat ist ohne Frage Lil Nas X, dessen Song OLD TOWN ROAD auf der Welle einer Cowboy & Wild West-Meme explodierte und den Song in der Folge an die Spitze diverser Charts schwemmte.

Während Song und Meme in immer neue Sphären vordrangen – und sogar einen Remix von Billy Ray Cyrus zur Folge hatten, der wie ein Adelsschlag wirkte– , zeigt OLD TOWN ROAD auf, wie diese neuen Verbreitungswege die Musik selbst verändern: Abgesehen von den meist bass – und beatlastigen, simpel strukturierten Sounds und eines thematischen Meme-tauglichen Hook, zeigt sich die Tendenz, den Refrain an den Beginn eines Tracks zu packen. Die Zeit einprägsam aus dem Ozean konkurrierender Songs hervorzustechen ist minimal. 15 bis 30 Sekunden müssen ausreichen, um in TikTok und vor allem Spotify aufzufallen. Wenn die Songs dann noch an ein visuelles Meme gekoppelt sind, steigen die Erfolgschancen erheblich.

 

Kein Mut für prägnante Musik?

Während Rap- und Popsongs die Macht der Meme und die Verknüpfung mit einem visuellen Code nutzen, um sich zu verbreiten, lässt wundern, wieso klassische audiovisuelle Formate wie Film und Serie hier weit weniger offensiv vorgehen.

Gerade im boomenden Bereich seriellen Erzählens fällt auf, wie vernachlässigt bis beliebig der Umgang mit der Komponente Musik wirkt. Eben hier, wo die Disruption durch Streaming zu einer Schwemme an Serien geführt hat, in der es zunehmend schwierig wird aus der Masse herauszustechen und abzuheben, scheint diese Praxis wie eine vertane Chance. Oder wie Komponist Sebastian Oswald es im Plot-Interview anmerkt: „Ein eigenständiger musikalischer Kosmos, der die Idee einer Geschichte trägt und die emotionale Essenz kondensiert, ist unerlässlich, wenn es darum geht den Kern der Geschichte dem Publikum zu vermitteln.“

Im Wettrüsten der großen Streaminganbieter, , wird auch der Klang einer Geschichte wichtiger werden. Der einfachste Weg ist hier zweifelsohne noch immer die gelungene Auswahl und Lizensierung bestehender Songs; für sich genommen eine Kunst, die U.S.-amerikanische Serien wie GREY’S ANATOMY, GILMORE GIRLS und THE OC  schon immer nutzten, um nicht nur das Geschehen in der Serie passend zu untermalen, sondern auch um über die Auswahl zeitgemäßer Bands Entsprechungen zwischen fiktiver Welt und Lebensgefühl der Zuschauer zu finden.

Für einige Bands brachte das Feature im Rahmen des Seriensoundtracks den Durchbruch, für andere, meist bekanntere Künstler ist die Verknüpfung zwischen emotionalem Gewicht einer Serienszene und dem Song die Möglichkeit, Veröffentlichung und Ausstrahlungsdatum zur bestmöglichen Medienwirksamkeit zu verknüpfen und eine Publikumsschichten zu erreichen, mit denen sie normalerweise nicht in Kontakt gekommen wären.

 

Mehr Charakter durch den eigenen Score

Die Möglichkeiten mit einem eigens komponierten Soundtrack vollkommen neue Resonanzräume für eine Serie zu schaffen, ist unbestritten, wenn auch aufwändiger. Serien wie TWIN PEAKS sind perfektes Beispiel hierfür. Denn deren fernsehgeschichtliches Erbe liegt neben David Lynchs surrealen Bildwelten und den verwinkelten Handlungssträngen eben auch im ikonische Score von Angelo Badalamenti.

Einerseits verhaftet in der TV-Tradition mit eingängiger Titelmelodie einen Erkennungswert zu schaffen , andererseits in der Musikidee eine durchgängig stimmige Klangwelt zu kreieren Der Eighties-Synthie-Score zu Beginn von STRANGER THINGS, klug gemischt mit nostalgiebehafteten 80ies-Goldies, der royal getragene, von Filmmusiklegende Hans Zimmer komponierte THE CROWN-Score oder die schottisch geprägte Untermalung von Highlands-Zeitreiseliebesdrama OUTLANDER sind starke Beispiele der jüngeren Zeit. Doch gerade bei der Vielzahl neuer Serienprojekte und -premieren verwundert es, wie wenig einprägsam sich andere Soundtracks zeigen.

Einige Beispiele wie die perfekte Kombination aus Serienthema, Geschichte und Soundtrack aussehen, haben wir hier einmal zusammengetragen – sowohl aus dem Bereich perfekt kuratierter Musik als auch bei Original Scores. Storyteller sollten sich dringend mit den Aspekten Filmmusik und Tonegrading beschäftigen. Bei Plot19, der Storytellingkonferenz am 6. September in München wird daher Filmkomponist und Sounddesigner Sebastian Oswald Einblicke in die von ihm konzipierte Methodik geben, um Storytellern und Filmemachern die Suche nach dem perfekten Sound für ihre Geschichten an die Hand zu gehen.

 

KILLIING EVE

Das nicht nur psychologische Duell zwischen Auftragskillerin Villanelle und Agentin Eve wird untermalt von einer eklektischen Melange aus obskurem Sixties-Pop, düsteren Chansons und Psychedelica. Als Ausgangspunkt für die Soundwelt der Serie diente die zuvor unbekannte Band Unloved, die durch KILLING EVE mit plötzlichem Popularitätsschub gesegnet wurden. Autorin und Produzentin Phoebe Waller-Bridge ist bei der Songauswahl eng involviert und begrüßt Ideen wie die zum Start von Staffel zwei; hier wurde das – auch romantische – Katz-und-Mausspiel zwischen Villanelle und Eve in zwei eigens produzierten Podcast-Folgen musikalisch erweitert.

 

PEAKY BLINDERS

Der Gegenpol aus historischem Setting im England des 19.Jahrhunderts und den modernen Rockriffs von Nick Cave, White Stripes, Tom Waits und Radiohead funktioniert prächtig: Die unerbittliche Lebenswelt der Figuren in der kriminellen Halbwelt mit hartem bis düsterem Sound gegenzuspielen anstatt auf zeitgenössische Musik zu setzen, war eine mutige Entscheidung, die sich auszahlt. Die Eröffnungsszene, in der Cillian Murphy zu Nick Caves RED RIGHT HAND durch die Slums von Birmingham reitet könnte nicht besser die Welt der Serie etablieren.

 

ATLANTA

Als Aufstiegsgeschichte eines Rappers, die in Vignetten stimmungsvoll Einblick in die Welt einer Gruppe von Freunden gibt, hat ATLANTA seine Soundwelt eigentlich klar definiert. Doch gerade durch die Mischung aus geschickt gesetzten Brüchen, ironischen Verwendungen und klassischeren Verknüpfungen zwischen Bild- und Songinhalten eröffnet der Soundtrack mit wenig Aufwand brillante neue Bedeutungsebenen.

 

STRANGER THINGS

Die Netflix-Serie, die sich mit schlau genutzten emotionalen Erinnerungsräumen der achtziger Jahre zum Hit gemausert hat, setzt diese Strategie auch geschickt im Soundtrack um, der als gelungener Hybrid aus Original Score und Hits der Achtziger aufschlägt: Die Synthieflächen der einprägsamen Komposition von Kyle Dixon und Michael Stein trifft auf ein atmosphärisch als musikalische Kulisse eingesetztes Best Of Eighties aus Foreigner, The Cars und REO Speedwagon. Brillant!

 

GAME OF THRONES

Fraglos nicht nur der berühmteste Score der jüngeren Seriengeschichte, sondern einer der ohrwurmträchtigsten Filmmusiken überhaupt. Und dabei ist nicht nur die summbare Eingangsmelodie gemeint, sondern die generell brillante Arbeit von Ramin Djawadi: Egal ob er RAINS OF CASTAMARE aus der Buchvorlage zum musikalischen Leben erweckt oder in Season acht perfekte Momente wie THE NIGHT KING  oder THE BELLS – die cineastische Wucht sucht selbst auf großer Leinwand ihresgleichen.

 

TOO OLD TO DIE YOUNG

Schon in Hinblick von Erzähltempo, visueller Ästhetik und Figurenzeichnung bricht Nicolas Winding Refns neon-getünchte und düstere Noir-Serie mit Konventionen. Passend dazu der minimalistische, mal nervös hippelnde, mal bedrohlich wummernde Score von Cliff Martinez. Perfekte Beispiele: Die Eingangssequenz, der (Vorsicht Spoiler plus Gewaltdarstellung) surreale Übergang von bedrohlich-verstörendem Score zu Barry Manilows MANDY-untermalten Verfolgungsjagd, die durch einen musikalischen Kunstgriff mit pechschwarzem Humor konterkariert wird. Die Mischung aus Stimmungsmusik zur Untermalung einer Szene und inhaltlich relevanten Songs wie dem Lied der HIGH PRIESTESS OF DEATH als perfekt platzierter Schlußpunkt (Spoiler!) machen einen entscheidenden Teil der hypnotischen Erfahrung von Refns Serienextravaganz aus.

 

BABYLON BERLIN

Der Großstadtflair des Berlins der Zwanziger Jahre fängt bereits der Soundtrack, von Tom Tykwer und Johnny Klimek geschaffen, gekonnt ein: Mal mit Metropolis-Taktung und auffälligen Rhythmen, mal mit zeitgemäßer Instrumentierung, mal mit treffend atmosphärischen Songs. Unbestrittenes Highlight ist das in Episode eins geschmetterte „Zu Asche, Zu Staub“,, das samt erinnerungswürdiger Tanzsequenz einen großartigen Einstieg in die Welt der Serie bietet.

 

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