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„Storytelling als Technik ist zu Unrecht in Verruf geraten“

Plot Interview mit Prof. Dr. Annika Schach

Prof. Dr. Annika Schach zählt zu den versiertesten Sprachwissenschaftlerinnen Deutschlands. Seit 2017 ist sie Professorin für Angewandte Public Relations an der Hochschule Hannover. Schwerpunkte ihrer Forschung sind Sprache in der Unternehmenskommunikation, Storytelling für Marken und Unternehmen, sowie Krisenkommunikation.
Für eine Weile tauschte sie ihren Professorenstuhl gegen die Praxis ein und wurde Leiterin Kommunikation der Stadt Hannover. Daher kann sie als Speakerin bei Plot19 auf ein fundiertes wissenschaftliches Wissen zurückgreifen, aber auch handfeste Praxisbeweise liefern. Im Herbst kehrt Schach wieder an die Hochschule zurück – vorher macht sie allerdings Halt in München zu Plot19, wo wir uns auf sie als Panel-Teilnehmerin zu einem brisanten Thema freuen. Einiges verrät sie uns schon vorab im Interview:

Interview geführt von Petra Sammer

Frau Schach, bereits 2015 interessierten Sie sich für die Storytelling-Kompetenz der 30 DAX-Unternehmen. Welche Erkenntnisse konnten Sie aus dieser Arbeit ziehen und was hat davon heute noch Gültigkeit?

Ich habe die Corporate Websites der Dax30-Unternehmen aus textlinguistischer und erzähltheoretischer Perspektive untersucht. Das Ergebnis verkürzt: Das Potenzial des Storytellings bei der Unternehmenshistorie wurde bei weitem nicht ausgeschöpft, aber es ließen sich bestimmte Erzähltypen identifizieren, wie z.B. die Gründerstory. Da Unternehmen sich heute noch stärker mit Purpose, Unternehmenswerten und der eigenen DNA beschäftigen, gehe ich davon aus, dass sie sich auch noch intensiver mit Narration als Vermittlungsmodus auseinandersetzen müssen. Besonders kleinere Unternehmen und Start-ups sind da besser aufgestellt.

Wie beurteilen Sie „Storytelling“ in der Unternehmenskommunikation? Ist das ein Hype, der langsam an seine Grenzen kommt oder gewinnt die Kommunikationstechnik an Bedeutung?

Storytelling muss man differenziert betrachten, es gibt eine inhaltliche Ebene und eine sprachliche. Beim Inhalt muss man heute aufpassen, die Form ist nach wie vor sehr relevant. Bei der narrativen Vertextung geht es ja darum, eine Veränderung zu beschreiben, keinen Zustand. Das ist hochaktuell, da Veränderungsprozesse in Unternehmen zum Alltag gehören. Es braucht aber nicht immer die prototypischen Figuren einer Story. Aber handelnde Personen sind immer wichtig, um eine Entwicklung dynamisch und aktiv darzustellen.

Für einiger Zeit haben Sie Ihren Professoren-Stuhl gegen die Praxis getauscht und als Leiterin der Kommunikation für die Stadt Hannover gesprochen. Wie sah es da denn mit dem Storytelling aus?

Behördenkommunikation ist in der Regel informativ statt narrativ. Der entscheidende Unterschied zur Unternehmenskommunikation ist, dass staatliche Institutionen nicht redaktionell arbeiten dürfen, das gebietet die „Staatsferne der Presse“. Das heißt, das große Thema Content Marketing fällt eigentlich weg. Aber man kann natürlich Geschichten erzählen, z.B. von der Arbeit der Mitarbeitenden. Hier ist es immer gut, wenn man die Held*innen der täglichen Arbeit für die Belange der Einwohner*innen darstellen kann, um den Vorurteilen gegenüber einer Verwaltung entgegen zu wirken.

Auf Plot19 packen Sie ein heißes Eisen an, denn Storytelling ist gerade in den letzten Monaten schwer unter Beschuss geraten. Der Relotius-Skandal schlug Wellen – weit über den klassischen Journalismus hinaus. Storyteller – in Marketing und PR, aber auch im Dokumentarfilm – stehen plötzlich unter Generalverdacht. Und das Misstrauen geht noch viel tiefer. In Zeiten von „Fake News“, „Deepfake“ und anonymen Algorithmen wird es immer schwieriger, Vertrauen mit dem Publikum, Stakeholdern und Kunden aufzubauen. Wie beschädigt ist Ihrer Meinung nach der Begriff „Storytelling“?

Storytelling als Technik ist zu Unrecht in Verruf geraten. Geschichtenerzählen wurde ja in Deutschland immer schon mit „Märchen erzählen“ assoziiert – also mit etwas Ausgedachtem, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Im Relotius-Fall wurden jedoch Inhalte, Personen und Situationen hinzugefügt, die komplette Fiktion waren. Das ist für den Journalismus tödlich, da Menschen in der heutigen unübersichtlichen Medienwelt sehr sensibel auf so etwas reagieren – und die Falschinformationen heute durch die digitalen Medien jederzeit recherchierbar und widerlegbar sind.

Das Plot-Panel, in dem Sie zusammen mit Journalisten, Markenprofis und Filmemachern auf der Bühne sitzen werden, trägt den Titel „Das Dilemma des Storytellers – Zwischen Manipulation und Information“. Wollen Sie dazu schon mal ein Statement abgeben, um den Gästen Lust auf die Diskussion zu machen? Haben Storyteller – egal ob in Unternehmen oder Agenturen – eine besondere Verantwortung, wenn sie auf Geschichten setzen? 

Informationen erzählerisch aufbereiten, ist gut – aber dann müssen die Inhalte auch stimmen. Ausschmückende und ausgedachte Situationen oder Mythen, die über Monate in Massenmedien fortgeschrieben werden, scheinen mir im Journalismus keine Einzelheit zu sein – denn das habe ich selbst in meiner Arbeit beobachten können. Ich halte das für gefährlich, da Vertrauen und Glaubwürdigkeit die höchsten Güter sind.

 

Prof. Dr. Annika Schach wird zusammen mit Raimar Heber, Creative Director der dpa-Infographik GmbH, sowie Marketingexperten und Journalisten diskutieren, was Kommunikationsprofis tun können, damit die Realitätskonstruktion der Wahrnehmung der Welt nicht komplett ins Wanken gerät. Wir freuen uns auf eine spannende Diskussion, die hoffentlich in vielen Unternehmen und Agenturen vorgesetzt wird. Mehr Infos und Tickets zu Plot19 gibt es hier.

Übrigens: Annika Schach ist eine ganz wunderbare Autorin. Ihre Bücher sind nicht nur für Sprachwissenschaftler lesenswert, sondern vollgepackt mit Tipps und Tricks für Praktiker in Marketing und Unternehmenskommunikation. Sehr zu empfehlen sind: Schach, Annika (2017) (Hrsg.) Storytelling – Geschichten in Text, Bild und Film (Wiesbaden: Springer Gabler) und Schach, Annika (2015) Storytelling und Narration in den Public Relations. Eine textlinguistische Untersuchung der Unternehmensgeschichte (Wiesbaden: Springer VS)