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„Ein Komponist erschafft den musikalischen Kosmos, der die Geschichte trägt."

Plot Interview mit Sebastian Oswald

Die Erfahrung zeigt Komponist Sebastian Oswald, dass Musik bei audiovisuellen Medien oft nur als Nachgedanke behandelt wird. Wie wichtig sie jedoch ist, um den Kern einer Geschichte zu vermitteln, weiß er aus jahrelanger Arbeit an Film-, Theater- und Werbemusik. Mit Plot unterhält er sich über seine Methode mit „Tonegrading“ – im Detail vorgestellt in einer Break Out-Session bei Plot19 – schnell und einfach eine gemeinsame Sprache für Musik zu entwickeln.

Interview geführt von Gerhard Maier

Sebastian, kannst Du bitte ein wenig über Dich erzählen? Was war Dein Ausbildungsweg und was machst Du heute?

Ich komme aus der Klassik, habe ganz traditionell Komposition gelernt. Ich habe viel Fernsehen gemacht, war bei Universal als Songkomponist, habe eine Band gehabt, für’s Theater geschrieben – ich habe im Auftragsmusikbereich so ziemlich jeden Job gemacht, den man machen kann. In jüngster Zeit geht es mehr Richtung Werbung und die Filmmusik nimmt auch wieder Fahrt auf, nachdem der Bereich in letzter Zeit ein wenig geruht hat.

Anhand der Erfahrungen, die Du gesammelt hast im Bereich der Auftragsmusik, speziell bei Film- und Werbungsmusik, eine Methodik entwickelt, mit der die Arbeit an der Grenze zwischen Geschichte und Musik bessere Resultate erzielt. Wie kam es dazu?

Das Tonegrading – hergeleitet vom Colourgrading beim Film – beruht auf meiner Erfahrung, dass Produktion, Regisseur oder wer immer für die Musik als Entscheider verantwortlich ist oft keine genauen Vorstellungen von der Musik haben, oder wenn sie sie haben, ihnen die Sprache und das Vokabular fehlt es auszudrücken. Was verständlich ist, es ist einfach schwierig über so etwas Abstraktes wie Musik zu sprechen – auch für Musiker selbst. In der Folge entwickelt man dann Musik viel über Trial-and-Error, ohne dass man anfangs einen Plan hat, was genau zum Schluß herauskommen soll. Der Blick auf das große Ganze, auf das übergeordnete Bild fehlt meist. So verliert man Zeit, teilweise auch Geld, hat dafür aber mehr Stress. Und die Musik wird nicht so gut wie sie sein könnte, wenn man sich am Anfang einmal überlegt hätte welche Punkte entscheidend sind. Was ich entwickelt habe ist ein Werkzeug, das als Tonegarding-Workshop ermöglicht über Musik zu sprechen ohne die Fachtermini zu kennen. Und das ermöglicht den Austausch darüber, was der emotionale Kern eines Projektes oder einer Geschichte ist anhand dessen man anschließend ein musikalisches Konzept erstellen kann. Das Format dauert zwischen drei und fünf Stunden und am Ende hat man eine sehr genaue, gemeinsam erarbeitete musikalische Landkarte.

Wieso ist diese Arbeit Deiner Meinung nach so wichtig?

Weil eine schlüssige Klangwelt massiv zu Flow und Einzigartigkeit eines Projekts beiträgt. Bei der Arbeit an der Klangwelt einer Geschichte ergibt sich die Möglichkeit einen Schritt zurückzugehen und einen Überblick über das Projekt aus den Perspektiven Wirkung, Effekt und Emotionalität zu gewinnen . Meist betrachtet man Geschichte nur von der Architektur her – Spannungsbögen, Plotstruktur und Figuren. Ich konzentriere mich in der Vorbereitung und dem Workshop auf das, was für die Musik relevant ist und das hat immer zu tun mit Effekt, Emotion, Wirkung. Das bringt Storyteller dazu, aus neuen Perspektiven auf ihre Geschichte zu blicken und daraus entwickeln wir dann gemeinsam den Klangkosmos, der die emotionale Wirkung der Geschichte trägt. Diese richtige, wie ein Maßanzug passende Klangwelt zu finden und zu etablieren ist entscheidend.

Unterscheidet sich die Art wie du eine Geschichte vertonen würdest von den Wünschen der Kunden?

Ja, natürlich! Wenn man zehn Komponisten eine Filmszenen vertonen lässt und selbst wenn sie das gleiche Briefing erhalten, kommen da zehn ziemlich unterschiedliche Musiken heraus. Ohne Briefing wird das noch weiter auseinandergehen. Deshalb ist es so wichtig sich zu Beginn gemeinsam Gedanken zu machen, den unendlichen Ozean an Möglichkeiten einzugrenzen. Dabei geht es nicht um mich und meinen Geschmack, sondern darum, die Intention des Regisseurs oder des Produzenten herauszufinden und in Musik zu übersetzen. Der Prozess des gemeinsamen Herausarbeitens ist da so enorm wichtig. Wenn da anfangs noch sehr diffuse Begrifflichkeiten vorherrschen, wird das im Laufe des Workshops immer klarer was es sein und werden soll. Oft weiß der Kunde schon was er will, oder hat ein ungefähres Gefühl was und wie es werden soll. Das muss man herausarbeiten und dann in Musik übersetzen.

Kannst du abschalten, wenn Du in Deiner Freizeit Film oder Serien anschaust? Oder kommt da der Experte durch, der alles analysiert?

Da kann ich zum Glück abschalten. Ich bin froh, dass ich von dieser Berufskrankheit verschont geblieben bin. Was ich aber gerne mache ist beispielsweise Amazon-Serien gezielt nur auf ihre Musik hin anzuschauen. Die steppe ich dann aber auch nur durch und achte auf die Musikkonzepte und ihre Umsetzung.

Gibt es da Trends die herausstechen? Oder etwas was als besonders gutes Beispiel in Erinnerung blieb?

Zur Zeit sind es viel Drone- und Ambient-Sounds, ein bisschen Streicher hier und Streicher da. Alles relativ düster, getragen. Wenn man zehn Serien nimmt und die partiell durchhört, stellt man fest, dass vieles sehr ähnlich klingt. Die Musik hat da in den wenigsten Fällen Signature Sound-Qualitäten. Das hat sie meist nur dann, wenn die Projekte für sich schon herausstechen. So etwas wie GAME OF THRONES ist natürlich dankbar, weil man da mittelalterliche Musik machen kann- und die gibt es in anderen Serien kaum. Beim hundertsten Thriller ist das natürlich schwieriger. Ich habe aber eine Serie entdeckt, die fand ich sensationell: HOMECOMING. Da ist die Musik sehr positiv aufgefallen – die ist gar nicht geschrieben, sondern zusammenkompiliert aus alten Filmmusiken. Darauf wurden mehrere Musiksupervisor angesetzt, die einen extrem geschmackvollen Job gemacht haben. Es ist sehr divers, aber sehr gut. Die Musik gibt der Serie eine seltsam-surrealistische Note, die in der Story nicht notwendigerweise angelegt ist. Mit der üblichen Thriller-Musik wäre die ganze Serie wesentlich „normaler“.Bei anderen Serien, bei denen der Soundtrack aus lizensierten Songs besteht hat diese Methode auch oft den Effekt, dass die Geschichte realistischer wirkt und mehr in der Wirklichkeit verankert ist.

Bei Serien, vor allem den Flagschiffserien großer Anbieter, wird alles sehr viel visueller, sehr viel einprägsamer und eigener im Look und nähert sich damit immer stärker dem Kino an. Ist das etwas, dass Du ebenfalls beobachten kannst in Hinblick auf Musik? oder ist da Raum für Verbesserung?

Da ist auf jeden Fall Platz nach oben. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Budgets für Kino-Filmmusik ungleich höher waren/sind als für Serienproduktionen was natürlich einen ganz anderen Production Value ermöglicht. Für Fernseh- und Serienproduktion klingt das oft sehr nach den Produktionsbedingungen: Im Durchschnitt ist das ein Musiker, der pro Woche bis zu 25 Minuten am Rechner zusammenbaut. Da bleibt nicht viel Zeit um es groß und cineastisch zu machen. Was aber hoffentlich passieren wird, selbst wenn die Budgets so bleiben, dass sich die Eigenheiten, die sich Kino erlaubt, auch Serien zugetraut werden. Denn das wäre der zweite Punkt: wenn man nicht so viel Geld zur Verfügung hat, muss man die Musik eben besser denken und konzipieren. Womit wir wieder beim Tonegrading wären. Denn auch mit schmalerem Budget lässt sich eine eigenständige Musikwelt bauen. Insofern hoffe ich stark, dass sich der Umgang mit Musik ändert, mehr Mut zur Eigenheit, weniger generisches 08/15. Dadurch dass es eigener klingt, wirkt es automatisch auch größer und cineastischer. Ich habe den Eindruck, dass man Musik als Alleinstellungsmerkmal und Werkzeug für Individualität einer Produktion nach wie vor massiv unterschätzt. TWIN PEAKS ist da ein hervorragendes Beipiel: Ohne die spezielle Musik wäre das zwar immer noch eine skurrile Story, aber die Welt wäre z.B. mit heutigen Drone- und Ambient-Sounds eine komplett andere. Und weniger eigenständige.