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„Wir müssen zwischen realen Stories und fiktionalen Geschichten unterscheiden“

On Stage: Plot-Speaker Prof. Dr. Michael Müller im Interview

Prof. Dr. Michael Müller erforscht die Rolle und Wirkung von Erzählungen in Unternehmen und Gesellschaft. Er ist der Meinung, dass jedes Unternehmen eine Zukunftsgeschichte braucht. Und diese gilt es nicht zu erfinden, sondern zu finden.

Prof. Dr. Michael Müller ist Chairman des Instituts für angewandte Narrationsforschung (IANA) der Hochschule der Medien Stuttgart. Er erforscht die Rolle und Wirkung von Erzählungen in Unternehmen und Gesellschaft. Müller sieht Geschichten als entscheidenden Wirtschaftsfaktor. Sie haben Einfluss auf die Produktivität von Mitarbeitern und wirken identitäts- und sinnstiftend. Gleichzeitig definieren für ihn Corporate Stories Märkte und stärken Kundenloyalität.

Herr Müller, viele Unternehmen wissen um die Bedeutung von Storytelling. Doch die Suche nach interessanten Geschichten gestaltet sich schwer. Kann angewandte Narrationsforschung die Suche nach Stories in Unternehmen systematisieren? Wie finden Sie gute Corporate Stories? 

Zwei Quellen sollte man unterscheiden: wahre Geschichten und fiktionale Stories. Damit meine ich nicht die Erzählweise oder das Genre, wie etwa Animationsfilme wie The Scarecrow, dem ausgezeichneten Film über eine Vogelscheuche, der die Unternehmensphilosophie von Chipotle zum Ausdruck bringt. Oder eine Science-Fiction-Story wie Colorless Future Advert, mit der Farbenhersteller Dulux die Bedeutung von Farbe im Leben thematisiert.

Viel mehr gilt es zu unterscheiden zwischen realen Stories, die tatsächlich in einem Unternehmen stecken bzw. dort geschehen sind, und fiktionalen Geschichten, die sehr oft das Management erzählen möchte.

Sie haben sicher einen Favoriten…

Auch wenn Visionen und Zukunftsstrategien für ein Management selbstverständlich interessant klingen, so sind die meisten dieser Erzählungen doch vorhersehbar und aus narrativer Sicht banal: „Wir streben Marktführung an“, „Wir sind Innovationsleader“, „Wir sind ein Großkonzern mit start-up-Kultur“ …

Viele dieser Narrative sind bekannt und schon oft erzählt. Der spannendere Schatz liegt in realen Stories, die ein Unternehmen zu bieten hat. Diese Geschichten können die gleiche Kernbotschaft ausdrücken, die auch eine Unternehmensvision erzählt, sie sind aber viel spannender.

Diese Geschichten sind authentisch, zeigen reale Menschen, nehmen den Rezipienten mit auf eine Reise. Zuschauer identifizieren sich mit dieser Art Storytelling weit intensiver. Reale Stories sind ein Schatz, der in vielen Unternehmen noch verborgen schlummert.

Sie interessieren sich vor allem für die Geschichten hinter den Geschichten. Was bringt der Blick hinter die Fassade von Stories?

Wer sich mit Storytelling beschäftigt, erkennt Muster in den Stories und der Art, wie sie erzählt werden. Narrative spiegeln Verhaltensmuster, zum Beispiel von Mitarbeitern oder Kunden wieder. Wer sie erkennt und sich bewusst macht, kann damit aktiv arbeiten.

Zur Zeit beschäftige ich mich zum Beispiel mit sogenannten „Master Plots“. Neben vielen anderen hat etwa Blake Snyder solche Masterplots in seinem Buch „Save the Cat!“, einer Anleitung für Drehbuchautoren, beschrieben. Doch nicht nur für Autoren, sondern auch für Unternehmensberater und Change Manager sind diese Plots hilfreich. Nehmen Sie zum Beispiel „The Monster in the House“. Ein gängiges Muster in Hollywood. Filme wie der Weiße Hai oder Alien bauen auf diesem Master Plot auf: Ein Monster bedroht eine Gruppe an Individuen, denen nur zwei Optionen bleiben: Flucht oder Kampf.

Auch die Narrative in Firmen und Branchen folgen oft diesem Plot. Themen wie „Globalisierung“ und „Digitalisierung“ sind derzeit das „Monster in the House“. Und wie im Drehbuch wird diskutiert, ob man als ganzes Unternehmen oder als einzelner Mitarbeiter fliehen (Ausweichen) oder kämpfen (Verteidigen) sollte.

Erst wer sich diese Story-Muster bewusst macht, erkennt, dass sich unter dem Diktat dieser Narrative schwer Alternativen diskutieren lassen. Change Manager sollten sich daher dringend mit Geschichten in Unternehmen auseinandersetzen.

Da wird aber viel in Storytelling hineininterpretiert. Das klingt ja so, also ob Geschichten definieren, wie wir unsere Zukunft sehen?

Aber so ist es doch auch. Jens Beckert hat in seinem vielbeachteten Buch „Imagined Futures“ genau darauf hingewiesen. Es ist entscheidend, wie wir über die Zukunft erzählen. Denn genau diese Narrative steuern, welchen Wert andere – Kunden, Investoren, Öffentlichkeit – dem Unternehmen zuschreiben. Dies hat großen Einfluss auch auf die Unternehmenskommunikation.

Wenn wir genau hinsehen, so beruht doch der Unternehmenswert vieler Start-ups aus dem Silicon Valley heute schon vor allem auf den Geschichten, die diese jungen Unternehmen uns über die Zukunft erzählen.

Jedes Unternehmen braucht eine Zukunftsgeschichte. Und diese gilt es nicht zu erfinden, sondern zu finden. Nur wer den narrativen Ausgangspunkt in der Gegenwart kennt, kann die Story in seinem Sinne auch verändern. Es hilft Ihnen nichts, wenn Sie fiktiv irgendetwas erzählen, das Ihnen niemand abnimmt. Suchen Sie erst die positiven Gegenwartsgeschichten in Ihrem Unternehmen. Es wird sich für Sie lohnen – in der Zukunft.

Petra Sammer