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Jetzt ist aber Schluss. Mit Storytelling, oder?

Ich hatte mir das ganz anders vorgestellt. Noch im letzten Jahr war die Euphorie rund um das Thema Storytelling riesig. Jeder wollte Geschichtenerzähler werden. Große Unternehmen und Marken interessierten sich plötzlich für den Dokumentarfilm. Noch größere Unternehmen stiegen sogar in fiktionales Storytelling und Science Fiction ein. Und auch Mittelständler zeigten Interesse, investierten in emotionale Storytelling-Kampagnen und übten sich in transmedialem Erzählen. Filmemacher und Drehbuchautoren horchten auf, denn es schien ein neuer Markt und neue Kundschaft für kreative Geschichten und Filme zu entstehen.

Storyteller unter Generalverdacht

Doch dann trug ein Journalist ziemlich dick auf und alles geriet ins Schwanken. Claas Relotius, der dem Spiegel und auch anderen Medien, phantasievolle Geschichten verkauft hatte, die zu allem Übel auch noch Journalistenpreise abgeräumt hatten, brachte die Technik des „Storytellings“ in Verruf und stellte alle Geschichtenerzähler gleich mal unter Generalverdacht.

Und der Journalismus war nicht die einzige Disziplin, die Ende letzten Jahres das Storytelling am liebsten in die Verbannung geschickt hätte. Die Wissenschaftskommunikation hängte sich gleich dran. Forschern und Wissenschaftlern wurde vorgehalten, dass sie mit „Stories“ die Wissenschaft hintergehen würde. Dass sie verniedlichen und simplifizieren und dadurch Unwahrheiten über den wissenschaftlichen Alltag verbreiten.

Julika Griem, Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, machte sich Sorgen, dass die „Storyfizierung“ dem komplexen Stoff der Wissenschaft nicht gerecht werde und nur Forschungsbereichen helfe, die richtige Helden vorweisen können – also harte Kerle und kühne Forscherinnen, die eher selten in Laboren und hinter Schreibtischen säßen.

Und um das Fass voll zu machen, geriet dann auch noch die Literatur selbst, Urmutter des Storytellings, ins Visier. Der Schriftsteller Robert Menasse, Autor des Bestsellers „Die Hauptstadt“, sah sich massiven Angriffen ausgesetzt, weil er in seinem Werk und auch in Vorträgen mehrfach falsch zitiert hatte. Eine Entschuldigung wurde gefordert und auch die Aberkennung des Deutschen Buchpreises. Zumindest aber sollte er Korrekturen in seinem Roman vornehmen. Die Anfeindungen gingen so weit, dass sich seine Schwester, Eva Menasse, gezwungen sah, für ihren Bruder das Wort zu ergreifen.

Ihr Kommentar wird zu einem aufrichtigen Plädoyer für die künstlerische Freiheit, der wegen folgender Sätze besonders lesenswert ist: „Er (Robert Menasse) ist ein leidenschaftlicher Träumer und ein brillanter Geschichtenerzähler. Früher waren das keine Schimpfworte.“

Die Haltung des Storytellers

 Ja, die Zeiten haben sich geändert. Sehr schnell. Und so ist aus dem kommunikativen Heilsmittel „Storytelling“ ein Instrument geworden, das sich kritische Fragen gefallen lassen muss.

Im Zentrum dieser Fragen stehen dabei weniger die Geschichten, viel mehr die Arbeitsweisen und die Haltung der Geschichtenerzähler. Transparenz, Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit der Storyteller werden dabei mehr und mehr von der Öffentlichkeit unter die Lupe genommen. Und die Art und Weise, wie sehr sich Filmemacher und Storyteller in die Karten blicken lassen, entscheidet über den Erfolg oder Misserfolg einer Geschichte. Dies gilt für Corporate- und Brand-Stories gleichermaßen wie für Film und Entertainment.

Dokumentarfilmer wie Dan Reed, der mit der Doku „Leaving Neverland“ über den Popstar Michael Jackson polarisiert, oder die Lifetime-Dokuserie „Surviving R. Kelly“, die ein bereits abgeschlossenes Gerichtsverfahren gegen den Rapper J. Kelly neu aufleben lässt, profitieren von der Aufmerksamkeit und dem großen Medieninteresse an diesen Stories. Gleichzeitig brechen beide mit den Konventionen des vermeintlich „neutralen“ Dokumentarfilmes und verrücken dessen Grenzen. Mit dieser radikalen Methode gelingt es dieser neuen Generation an Dokumentarfilmern zu einem übersättigten und überinformierten Publikum durchzudringen. Doch hat dieser Erfolg auch seinen Preis. Nicht so sehr stehen die Stories im Mittelpunkt, sondern mehr und mehr die Storyteller und ihre Absichten.

Die Macht der Sichtbarmachung

Und dabei sind wir wieder bei der Krise des Storytellings. Oder ist es auch eine Chance? Karen Fromm, Professorin an der Hochschule Hannover, nimmt nicht nur Dokumentarfilmer in die Pflicht,  neu und transparent zu erzählen, sondern auch Fotographen: „Fotografien haben immer auch etwas mit Macht zu tun. Schließlich bedeutet jede Form der Sichtbarmachung auch, dass etwas anderes unsichtbar bleibt. (…) Wir beobachten derzeit tiefgreifende Veränderungsprozesse, die unsere Vorstellung von Repräsentation, Dokumentation und fotografischer Zeugenschaft infrage stellen. (…) Fotografie ist weniger ein Medium der Aufzeichnung und Wirklichkeit als ein Medium der Interpretation und Transformation – auch im Journalismus. Hier würde ich mir mehr Pluralität der fotografischen Sichtweisen und Perspektiven wünschen, mehr visuelle Erzählformen, die ihre Entstehungsbedingungen und ihre Kontextualität mitreflektieren,“ so die Professorin in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. (SZ 9.4.19)

Es brennt. An allen Ecken und Enden.

Die einen stellen also Storytelling komplett in Frage. Die anderen setzen verstärkt auf die Überzeugungskraft der Geschichte, um die Welt zu zeigen, wie sie es wollen. Und wieder andere fordern neue Erzählformen, um hinter die Kulissen blicken zu können. Es ist komplizierter geworden, dieses Storytelling. Ganz egal ob in der Unternehmenskommunikation, im Marketing, im Film und im Entertainmentbereich. Es herrscht Diskussionsbedarf unter Storytellern. Mehr denn je. Denn brisante Themen brennen uns unter den Nägeln. Und Plot19 wird einige dieser Fragen auf offener Bühne ansprechen. Fragen wie diese hier:

  • Wer glaubt noch Storytellern und was tun, um glaubwürdig zu bleiben?
  • Wer braucht noch Storytelling? Und wie findet man Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden?
  • Don´t tell me, don´t show me. Play with me. Liegt die Zukunft des Storytellings in der Partizipation und Interaktion? Doch wo bleibt – zwischen Innovation und Immersion – noch Platz für den Storyteller?

Es gibt also einiges zu bereden. Zu lernen und zu durchleuchten. Es wird spannend und wir hoffen, Sie sind dabei. Tickets gibt es hier!

 

Von Petra Sammer