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Meme Magick – Wie Bilder die Realität formen. Storytelling aus den Tiefen des Internets

Anhänger der Alt Right-Bewegung im allgemeinen und Unterstützer von Donald Trump im speziellen glauben, dass sogenannte „Meme Magick“ dazu beitrug ihren Kandidaten ins Weiße Haus zu hieven. Derweil gibt es sehr rationale Erklärungen für die von Meme-Content getriebene, dezentralistische grassroots propaganda.

 

von Gerhard Maier

Kurz nach der Wahl von Donald Trump machte in einigen Blogs, die man einst getrost als crazy fringe of the internet bezeichnen konnte, eine Idee die Runde, die tief in den Nachrichtenboards von 4chan, 8chan und Konsorten geboren wurde. Mittlerweile, im Abstand von einigen Jahren wirken diese Ansätze plötzlich nicht mehr so unglaubwürdig.

Um was geht es genau? Kurz: Um die Macht einer Idee, die als visueller, sich selbst replizierender Code transportiert wird. Puh, das klingt kompliziert. Es geht um die Theorie, dass eine clever eingeschleuste Idee in einem System audiovisueller Reproduktion und Distribution, sich nicht nur fortpflanzt und mutiert, sondern dass diese Idee sogar nachhaltig die Wirklichkeit verändert.

Die für unwahrscheinlich gehaltene Wahl von Trump zum US-Präsidenten wird von einigen seiner Anhänger als perfektes Beispiel für die Macht und Magick dieser Methode angesehen.

What The Hell Are Memes?

Auf die Frage, was Memes eigentlich sind, gibt es eine kurze und eine komplexe Antwort. Die kurze sieht Memes als ein Bild, Video, Text oder Handlung – meist humoristischer Natur – die von Internet-Usern kopiert und weiterverbreitet wird. Letzteres geschieht oft mit leichten Variationen, die das Original-Meme zitiert.

Die komplexe Antwort geht auf Richard Dawkins zurück, der in seinem Buch „The Selfish Gene“ aus dem Jahr 1976 Memes als Software der Evolution beschreibt. Es sind Geschichten, Fertigkeiten, Erfindungen, Gewohnheiten und Bräuche, die sich von Person zu Person durch Imitation verbreiten. Memes sind dabei eine der Möglichkeiten, die menschliche Natur zu erklären und sind als kulturelle Komplementärstücke zur genetischen Evolution zu sehen.

Wenn Information immer und immer wieder mit leichten Variationen kopiert wird, entstehen unterschiedliche Versionen, von denen manche überlebensfähiger sind als andere und die sich so fortpflanzen. Über mehrere Generationen hinweg entsteht „design out of chaos“ (Design ohne Intention). Die übertragene Information nannte Dawkins „Replikator“ – ein Begriff, der sowohl in der Hardware der Gene als auch in der Software von Kultur angewandt werden kann.

In der zyklischen Abfolge von Replikation, Variation und Selektion reproduzieren sich also nicht nur Gene und wetteifern im Kampf ums Überleben, auch Memes stehen im Wettbewerb zueinander.

Die Magick der Memes

Diese These zur Verbreitung einer Kernidee, kombiniert mit Überlegungen zur wirklichkeitsverändernden Macht der Gedanken, findet in einigen Schulen der sogenannten „Chaos Magick“ Anwendung. Intention („Ich will dass Ereignis X eintrifft“) wird zunächst codifiziert und komprimiert (siehe Bild) und anschließend einem möglichst großen Kreis visuell zugänglich gemacht.

Die Vorstellung durch fokussierte Intention etwas zu manifestieren war vor allem in der Schule des „New Thought“ zentraler Glaubenssatz: positive Gedanken führen zu positiver Energie im Leben. Memes im Sinne der über das Internet verbreiteten visuellen Einheiten scheinen dieser Ansicht nach perfekt geeignet, um als Trägerstoff eine virtuelle Idee in die Wirklichkeit zu holen.

Die Überzeugung, dass politische Memes als neue Form der Propaganda mächtige Werkzeuge im Kampf um Wählerstimmen geworden sind, setzte sich bereits bei Obamas prägnantem „Yes We Can“ durch. Acht Jahre später, im Licht der gewachsenen Facebook- und Twitterisierung, der GIF- und Bot-isierung, haben sich die Machtverhältnisse umgekehrt: Wurde Obamas „Yes We Can“ noch von oben nach unten in das Kommunikations-Ökösystem gegeben, kehrten sich die Machtverhältnisse 2016 um.

Oder wie Douglas Haddow treffend bemerkt:

”What’s novel here is an inversion of control – political memes are no longer rare flashes of uncensored personality or intensely manicured visual messages. They are now born from the swamps of the internet in real time, distributed from the bottom up. They have grown into a form of anarchic folk propaganda, ranging from tolerable epigrams to glittering hate-soaked image macros akin to a million little rogue Pravdas.”

 

Die Geburt einer Idee – die Geburt einer Story

Die Erkenntnis, dass Sozialmedien die U.S.Wahl 2016 maßgeblich beeinflussten und dass zielgruppengerichtete, auf geographische „Battlegrounds“ abzielende Kampagnen durch meme-haften Content versuchten, Stimmen zu gewinnen (oder andersdenkende Wähler durch Falschinformation von der Wahl abzuhalten), überrascht heute nicht mehr. Auch wenn die Tragweite und Implikationen der Verstrickung aus Cambridge Analytica-Datenmissbrauch, Facebook-Kampagnen undurchsichtiger Auftraggeber und entwendeter Wählerdaten als Indiz einer konzertierten Attacke in manchen Kreisen der US-Politik erstaunlich beiläufig bei Seite gewischt wurden.

Die Vorstellung aber, dass Memes aus dem Bereich des Cyberspace in die Realität überspringen und dass Geschichten, wahr werden, die im Netz geboren wurden, schien weit hergeholt – erfüllte sich jedoch nachweisbar während des Wahlkampfs 2015.

Erstmals getrackt wurde die „Meme Magic/Magick“ im März 2015 nach dem Absturz von Germanwings Flight 9525. Wenige Monate später tauchte das Bureau of Memetic Warfare kurz /bmw/ auf dem Messageboard 8chan auf, das retrospektiv einige Vorfälle wie die Slenderman-Fälle aus dem Jahr 2014, die Figur Ebola-Chan oder die Verwendung von GETs mit dem Begriff Meme Magick in Verbindung brachte.

Zur vollen Entfaltung kam das Konzept in den Zirkeln der Alt-Right-Bewegung, die eingebettet in das verwirrende, chaotisch verschachtelte Treiben auf Messageboards wie 4chan und 8chan, die Grenze zwischen Trolling, Edgelording und politischem Aktivismus zunehmend verwischten und Ironie, Satire und ernstes Anliegen paradox nebeneinander, in der Schwerelosigkeit zwischen moralischem Nihilismus, radikalem Relativivismus und gefährlichem Extremismus koexistieren lassen. Nichts scheint hier endgültig und absolut, die Narrative ist stets in Bewegung, alles scheint möglich.

Kek, Pepe und Trump

Dort entstand laut Théodore Ferréol ein Bastard aus Aktivismus und Religion, Animismus und Magick – ironisch und todernst gleichermaßen Entrüstung und Chaos, Identifikation und Parole. Eine der bekanntesten Memes, der Frosch Pepe wurde gekapert und zum Totem einer Stammeszugehörigkeit des Rechtsextremismus erklärt. Die daraus gesponnene Variation des Ausdrucks LOL in das antagonistische KEK zum Slogan der Alt Right-Bewegung. Die kollektive, kreative Kraft erschuf eine visuelle Identität, wie sie keine Agentur besser konzipieren hätte können.

Eine neue Qualität erhielt diese Meme, als ein User eine ägyptische Gottheit namens Kek entdeckte, die als humanoide Gestalt mit Froschkopf dargestellt wurde und als Bote der Dunkelheit und des Chaos diente. Die Vorstellung in den Alt Right-Sammelbecken des Netzes, dass die von ihnen gewählte Symbolik im Dienste von Donald Trump die Verkörperung einer übernatürlichen Macht sei, befruchtete die Bewegung auf vollkommen neue Art: Die Church of Kek war geboren, die in crowd-gesourcter dezentraler Arbeit eine kulturelle Mythologie entstehen ließ, die political correctness und liberale Werte verachtete.

In endlosen Variationen verbreitete sich die Meme von Pepe und Kek über soziale Medien. Die wahre Stoßrichtung lag in undurchschaubaren Schichten von Nonsense und Ironie geschickt versteckt und kaum zu decodieren, stets mit dem Ziel, den öffentlichen Diskurs mit den Ideen der Alt-Right-Bewegung zu infizieren und den Diskurs zu gender, race, sexual orientation und identity auf subversive Weise mit den Idealen einer white male patriarchy under siege zu torpedieren. Aus dem resultierenden Chaos entstünde dann die Manifestierung des gemeinsamen Wunsches, Donald Trump als Präsident zu sehen. So zumindest die detaillierte Erklärung, die Andrew Anglin, Betreiber der Neo-Nazi-Seite The Daily Stormer liefert.

 

Wirkt Meme Magick?

Ob es Memes tatsächlich gelingt Einfluss auf die Realität zu nehmen oder ob es sich lediglich um gut erzählte Geschichten handelt, scheint beinahe egal. Es geht nicht um die Kausalität zwischen Meme und Wirkung. Die Möglichkeit, dass dem so sein könnte, reicht vollkommen aus, um eine wirkungsvolle Geschichte zu erzählen. Alleine die Chance, die Grenze zwischen virtuellem (im Sinne von nicht-physischem) Raum und Realität porös werden zu lassen, reicht zur Legendenbildung aus.

Beispiel sei ein über 4chan verbreitetes Meme über einen mit russischen Bombern abgestimmten Luftschlags in Syrien. Ob die Ereignisse sich so zugetragen haben wie kolportiert, ist nebensächlich – jeder aus diesem Meme gesponnenen Geschichte wohnt Wirkkraft inne.

Ähnliches gilt für die Church of Kek und ihre Behauptung maßgeblich für die Wahl Trumps verantwortlich zu sein. Nicht tatsächliche Beweise sind nötig, die Geschichten, die sich daraus schöpfen lassen, genügen als Beleg für das Empowerment dieses marginalisierten Extremismus der neuen Rechten. Die von „römischen Grüßen“ begleitete Rede von Richard Spencer, dem Leiter des rechtsextremen National Policiy Institutes, zur Wahl von Donald Trump schließt mit den Worten eines „Triumph des Willens“: „We willed Donald Trump into office, we made this dream reality,“

Tatsächlich zeigt sich dahinter eine perfide perfektionierte Strategie, die der Akademiker Peter Pomerantsev in seinem Buch „Nothing is True, Everything Is Possible“ beschreibt, wenn er die Mechanismen der Destabilisierung des kollektiven Diskurses in Putins Russland aufdröselt. Um die Inszenierung von Realität als Theater des Spektakels, die Unterminierung von Stabilität und die Propagierung eines radikalen Relativismus geht es in diesem konstant, psychologisch geführten Angriffs auf jede Form von Ordnung. Adam Curtis Dokumentation HyperNormalisation gibt ebenfalls erschütternde Einblicke in dieses System. Pomerantsevs neues, soeben erschienenes und höchst empfehlenswertes Buch „This Is Not Propaganda: Adventures in the War Against Reality“ taucht tief ein in die globalen Zusammenhänge dieses unsichtbar tobenden Desinformationskrieg, in dem Desorientierung und die Atomisierung der Konsensrealität wichtige Waffen eines asymmetrischen Konflikts sind. In eben diesem sind Memes als einfach manipulierbare, leicht variierbare, reproduzierbare und teilbare Träger codifizierter Bedeutung ideales Medium.

Lernt memen!

Im Gemengelage aus russischen Trollfabriken, propagandistischen Twitter-Botnetzwerken und den von Cambridge Analytica maßgeschneiderten Desinformationskampagnen, scheint die Macht der Meme größer denn je. Und Kenntnis darüber wichtiger den je – für Storyteller und Storymaker.

Nicht nur als formatives Element für das Fernsehen, als entscheidende und geschichtsschreibende Variable oder als neustes Betätigungsfeld der Marketing-Industrie . Wenn Elon Musk den Schöpfer einer besonders erfolgreichen Meme zum social media-Manager von Tesla ernennt, wird die Bedeutung gut „memen“– seine Geschichte also geschickt und gut verbreitbar in eine Meme komprimieren und kodieren – zu können, wichtiger denn je.

Die Fähigkeit Memes nicht nur lesen, sondern auch dechiffrieren zu können, um sie schlicht zu verstehen und zu variieren, umdeuten, und wieder hinaus in die Welt und schicken zu können, wir zur Schlüsselqualifikation für Kommunikatoren und Medienmacher des 21. Jahrhunderts.

 

Journalist und Autor Peter Pomerantsev berichtet bei Plot19 über Manipulation, Propaganda und die dunkle Seite des Storytelling. Noch kein Ticket? Gibt’s hier! 

 

Weiterführend:

Dark Star Rising: Magick and Power In The Age Of Trump – Gary Lachman

Nothing Is True, Everything Is Possible  – Peter Pomerantsev

This Is Not Propaganda – Peter Pomerantsev

Meme Magic Is Real, You Guys – Théodore Ferréol

Putin’s Promethean Gamble – Donald N. Jensen / Peter B. Doran