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Eine Geschichte von Ecken und Kanten zu befreien ist fatal!

Was Filmemacher bei Unternehmen fürchten?

… oder fürchten Filmemacher Unternehmen überhaupt? Die Antwort muss wohl „Ja“ lauten, geschuldet den unterschiedlichen Motivationen beider.

von Gerhard Maier

Der Filmemacher versteht sich als audiovisueller Geschichtenerzähler. Ist er auch Autor, packt er die pure Essenz seiner Geschichte in Bild und Ton. Arbeitet er mit der Geschichte eines anderen, übersetzt er dessen Vision in Bilder und Töne.

Das Unternehmen – egal ob Auftraggeber eines Werbefilms oder Produktionsfirma – hat wenig Interesse am Entstehungsprozess. Im Fokus steht das fertige Produkt und dessen Gewinnmaximierung. Die Geschichte ist entweder direkter ökonomischer Faktor für Produktion und Vertrieb. Oder indirekt, wenn die Geschichte als Marketingwerkzeug dienen soll. Eine Unterscheidung in Motivationen, die gepaart sind mit asymmetrischer Machtverteilung zwischen beiden Seiten, kann zu Verstimmungen führen. Doch was genau fürchten beide Seiten eigentlich?

Die folgenden Punkte sollen da einen Denkanstoß geben:

Geschichte ist nicht das Ziel, sondern die Basis

Ein fundamentaler Punkt ist die Frage nach dem Kern. Denn eine Geschichte ist

in den meisten Fällen nicht der Selbstzweck eines Films, Geschichte ist der Ausgangspunkt. Was ist damit gemeint? Dies lässt sich am Verhältnis zwischen Autor und Regisseur veranschaulichen. Aufgabe des Autors ist es, eine Welt zu erschaffen. Eine Welt, die anschließend vom Regisseur interpretiert, ausgestaltet und umgesetzt wird. Die Geschichte ist somit nicht höchste Instanz des Schaffensprozesses, der fertige Film als eine Kombination aus Geschichte und deren in mannigfaltigen Faktoren zum Ausdruck gebrachten Adaption ist es.

Was zu Missverständnissen führen kann: Auch wenn die Geschichte vergleichs-weise leicht zu produzieren ist – man braucht Papier, Vorstellungskraft und Zeit – so ist sie das Objekt, das Investoren und andere Ermöglicher in Bann schlägt. Sie bleibt aber nur Ausgangspunkt, ist nicht Endprodukt. Ein kleiner, aber feiner Unterschied.

Gute Geschichten entstehen nicht aus Formeln

Und hier kommt das nächste Verständigungsproblem zwischen Filme-macher und Unternehmen: Was macht eine gute Geschichte aus? Zwei Herausforderungen ergeben sich, die eng miteinander verknüpft sind. Zum einen sind da die vereinheitlichenden Formeln, die auf vermeintlich universelle, letztlich jedoch nur unzureichend anwendbare und überholte Erzählsysteme bauen – Stichwort: Heldenreise.

Der Hinweis eines Auftraggebers, egal ob aus Wirtschaft oder Filmbranche, man möge „etwas was genau so ist wie X“, ohne sich mit den dahinterliegenden Mechanismen von Storytelling zu beschäftigen, führt zu falschen Erwartungshaltungen, was die filmisch erzählte Geschichte leisten kann.

Die alleinige Konzentration auf das gewünschte Endprodukt, ohne den Blick für die Entstehungsfaktoren der Geschichte zu schärfen, kann zu grundverschiedenen Auffassungen von Kreativ- und Produktionsprozessen führen.

Gute Geschichten müssen gefunden werden

Was wiederum zum nächsten Reibungspunkt führt: Ein unterschiedliches Verständnis darüber, was eine gute Geschichte ist. Dass gute Geschichten erst gefunden werden müssen und sehr unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, was eine gute Geschichte ist, mag eine offensichtliche Weisheit sein.

Doch bereits die Zusammenarbeit von Autor und Filmemacher mit Produktionsfirmen, Sendern und Vertrieben, ganz zu schweigen von branchenfernen Unternehmen, wirft die Frage auf, wie und wo denn nun eine gute Geschichte zu finden sei. Eine einfache Antwort gibt es darauf wohl nicht, jedoch eine Reihe von Indizien, wie man beginnen kann: In dem man einer Vision (nicht einer Geschichte!) traut, sich Zeit und Ressourcen nimmt, das tieferliegende Thema dieser Vision herauszuarbeiten und zu verfeinern, um daraus eine eigene Welt zu bauen. Die gesuchte Geschichte findet sich im Idealfall in den Bildern dieser Welt.

Ein Beispiel hierfür sind nicht nur die Filme von Steven Spielberg, Serien wie „Deadwood“, „Game Of Thrones“ oder „The Wire“. Perfekt bringt F. Scott Fitzgerald dies in „The Love Of The Last Tycoon“ auf den Punkt, wenn Produzent Monroe Stahr sich mit einem Autor unterhält:

Suppose you’re in your office. You’ve been fighting duels or writing all day and you’re too tired to fight or write any more. You’re sitting there staringdull, like we all get sometimes. A pretty stenographer that you’ve seen before comes into the room and you watch her—idly. She doesn’t see you, though you’re very close to her. She takes off her gloves, opens her purse and dumps it out on a table—”

Stahr stood up, tossing his key-ring on his desk. She has two dimes and a nickle—and a cardboard match box.

She leaves the nickle on the desk, puts the two dimes back into her purse and takes her black gloves to the stove, opens it and puts them inside. There is one match in the match box and she starts to light it kneeling by the stove. You notice that there’s a stiff wind blowing in the window—but just then your telephone rings. The girl picks it up, says hellolistens—and says deliberately into the phoneI’ve never owned a pair of black gloves in my life.’

She hangs up, kneels by the stove again, and just as she lights the match you glance around very suddenly and see that there’s another man in the office, watching every move the girl makes—” Stahr paused. He picked up his keys and put them in his pocket. “Go on,” said Boxley smiling. What happens?” “I don’t know,” said Stahr. “I was just making pictures.”

Gute Geschichten sind nicht universell

Was zu einem letzten und entscheidenden Punkt führt, der zu Missstimmung zwischen Filmmacher und Unternehmen führen kann: Gute Geschichten sind nicht für Jedermann gedacht. Es gibt immer Teile des Publikums, die ästhetische Abneigungen hegen, Elemente der Geschichte nicht mögen oder Teile der Geschichte schlicht nicht verstehen. Beispiele hierfür gibt es zahlreiche, selbst und gerade für vermeintlich höchst erfolgreiche Geschichten.

Das Ziel eines Unternehmens mag es berechtigterweise sein, ein größtmögliches Publikum anzusprechen. Dass die Geschichten, die so entstehen, jedoch nicht unbedingt die besten sind, liegt auf der Hand. Der Versuch, eine Geschichte von Ecken und Kanten zu befreien, sie an alle Zielgruppengeschmäcker anzupassen und dabei niemanden auszuschließen, ist fatal. Aber doch gängige Praxis, die manchen Filmemacher bereits im Vorfeld abschreckt. Die Befürchtung, eine einmal gefundene, gute Geschichte der Wirkung zu berauben, in dem man sie möglichst gefällig gestaltet, schreckt viele Kreative.

Die Angst vor einem durch ein Machtungleichgewicht der Beziehung aufgezwungenen Kompromiss, der zu Lasten der Geschichte geht, nicht zu Gunsten ihrer Wirkbreite, ist groß. Denn nur gute Geschichten überleben, der Friedhof der schlechten, da handzahmen und schnell vergessenen, wächst täglich weiter an. Ein Rat für Unternehmen zum Schluss: Lernt den Kreativen zu vertrauen. Nicht nur, wenn es darum geht ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen, sondern speziell dann, wenn es darum geht, die Feinheiten des Entstehungsprozesses zu verstehen und durch ihn hindurch zu navigieren.

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