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„Jede gute Infografik braucht eine Primaballerina“ – Raimar Heber im Plot-Interview

Raimar Heber ist Art Direktor der dpa Infografik GmbH und visueller Storyteller mit Leidenschaft. 2019 saß er auf der Plot-Bühne und sprach zum Thema „Verantwortung von Storytellern“ – ein Thema, das gerade jetzt, in diesen Krisenzeiten, zusätzlich an Bedeutung gewinnt. Raimar hat sein Home-Office in Berlin nur wenige Gehminuten entfernt vom Newsroom der dpa, wo in normalen Tagen über 250 Journalistinnen und Journalisten sitzen. Sie alle arbeiten nun von zuhause aus und halten die größte deutsche Nachrichtenagentur am Laufen. So auch Raimar Heber, der mit seinem Team an Infografikern gut zu tun hat. Wir treffen ihn zum Plot-Interview in einer Zeit, in der ganz Deutschland laufend auf Zahlen, Daten und Grafiken starrt. Herzlich Willkommen im Plot-Interview: Raimar Heber.

Interview von Petra Sammer

Plot: Raimar, noch vor einem Jahr, auf der Plot-Bühne, sprachst du über die Bedeutung von visueller Kommunikation und wie wichtig es ist, Informationen visuell stark zu erzählen. Gilt dies in Zeiten wie die Corona-Krise umso mehr?

Raimar: Sicher, jetzt sind die Zeiten für Informationen sehr intensiv. Aber visuelle Kommunikation, die visuelle Darstellung von Fakten und Daten, ist zu allen Zeiten entscheidend. Wir haben immer die Aufgabe, Zahlen, Statistiken, abstrakte Aussagen klar und deutlich und so verständlich wie möglich zu übermitteln. Und das Wichtigste für uns als visuelle Storyteller ist die Einordnung. 

Eine gute Infografik ordnet Daten ein, stellt Kontext und Zusammenhänge her. Nur so wird aus nackten Fakten eine relevante Information. Und nur so kann tatsächlich auch Wissen generiert werden. Zum Beispiel kann man erzählen, dass 2019 insgesamt 3059 Menschen im Straßenverkehr gestorben sind. Eine sehr große Zahl, vor allem wenn man an die ganzen Schicksale dahinter denkt. Aber man muss diese Zahl auch in Relation setzen, nämlich dass im Vergleich zum Vorjahr 216 Personen weniger getötet wurden und dies die niedrigste Zahl der Verkehrstoten seit Beginn der Aufzeichnung 1953 ist. Eine ganz andere Story wird daraus, wenn man dann noch erwähnt, dass im selben Jahr weltweit insgesamt nur 293 Passagiere in einem Flugzeug zu Tode kamen. Das ist das „Plot-Problem“. Man muss sich entscheiden, welche Story man erzählen will und welche Einordnung man vornimmt – dies gilt in Krisenzeiten. Dies gilt in allen Zeiten.

Die dpa kürt mit dem dpa- Infografik-Award jedes Jahr herausragende Infografiken aus Deutschland, Österreich, Schweiz und lädt Medien, Unternehmen und Agenturen ein, ihre besten Arbeiten einzureichen. Aus dieser Jury-Erfahrung, aber auch aus deiner täglichen Arbeit, was sind die schlimmsten Fehler, die man in einer Infografik begehen kann?

Wie oben schon gesagt, halte ich „fehlende Einordnung“ für den größten Fehler. Es gibt aber jede Menge mehr Fallen, in die man tappen kann. Eine der größten Sünden ist es, zu viel von einer Infografik zu verlangen. Infografiken sind kein Lastesel, der alles tragen kann. Oft werden einfach zu viele Informationen in eine Grafik gepackt – zu Lasten der Lesbarkeit und Verständlichkeit. 

Schnell kommt dann das nächste Problem: fehlende Priorisierung. Wenn in einer Infografik die Hierarchie fehlt, ist das wie mit den Kacheln im Badezimmer. Man sieht eine einheitliche Fläche, vielleicht ein nettes Muster, aber ohne jegliche relevante Information. Infografiken brauchen einen Helden, wie jede gute Story. Oder, noch besser, eine „Primaballerina“. Im Ballett ragt sie heraus. Alle Augen achten auf die Primaballerina, sie zieht die Blicke auf sich. Genau das braucht auch eine gute Infografik. 

Und dann gibt es natürlich noch all die technischen Fehler, die die Lesbarkeit ruinieren wie etwa zu kleine Schrift, zu verspielte Schriftfonts, zu große Abstände zwischen Text und Grafik, unklare Skalierung oder falsche Farben. Alles, was in einer Grafik zu sehen ist, muss dazu beitragen, dass die Informationen gut und schnell erfasst und verstanden werden kann.

Einordnung, Klarheit und Verständlichkeit, genau das erwartet man von einer Infografik. Das ist doch selbstverständlich, oder?

Richtig, es ist aber keine Selbstverständlichkeit. Sondern harte Arbeit. Je einfacher etwas aussieht, umso aufwändiger ist meist die Gestaltung. Da geht es uns nicht anders als vielen weiteren Kreativ-Berufen auch. Die Kunst ist es, so gut zu sein, dass das Produkt am Ende einfach und smart aussieht. Doch unseren Werken sieht man den intensiven Kreativprozess meist nicht an. 

Das bringt mich aber zu einem weiteren Fehler, vor dem ich visuelle Storyteller warnen will: vor zu viel Kreativität. Infografiken haben den Auftrag zu informieren. Es sind Gebrauchsgrafiken und keine Kunst. Dies sollte man nicht vergessen. Es ist legitim und notwendig, kreativ zu werden, um Aufmerksamkeit und Neugierde beim Leser zu wecken. Aber man sollte dafür nicht essentielle Grundregeln über Bord werfen oder disruptiv ins Kraut schießen. Was meine ich damit? Wir alle haben zum Beispiel Farbcodes gelernt, auf die wir auch in Grafiken zurückgreifen müssen. Rot heißt „Achtung“, Grün heißt „ok“ oder „go“. Es macht überhaupt keinen Sinn, das abzuändern. Leser kennen und vertrauen auf diese Symbole und Zeichen und beziehen sich darauf. Daher müssen wir mit diesen Konventionen arbeiten. Übrigens auch mit der Konvention, dass wir hier – in westlichen Ländern – von links nach rechts lesen. Auch das wird oft vergessen.

Raimar, du arbeitest mit deinem Team für die Kollegen der dpa, aber auch für Kunden aus der Wirtschaft. Welche Tipps hast du für Unternehmen, die eine Infografik selbst oder mit einem Dienstleister erstellen wollen?

Es klingt vielleicht verrückt, aber als erstes sollte man sich fragen, ob eine Grafik überhaupt notwendig ist. Man könnte meinen, dass ich als Infografiker das Ziel habe, so viele Grafiken wie möglich in die Welt zu setzen, aber dem ist nicht so. Jede gute Grafik, wie auch jede gute Story, braucht einen Grund, um geschaffen zu werden. Fragen Sie sich also zuerst, wie stark die Aussage ist, die Sie mit dieser Grafik machen wollen. Und seien Sie ehrlich zu sich selbst. Fatal ist es, wenn man eine Grafik mit einer zu banalen oder gar schwammigen Aussage erstellen will. Infografiken sind knallhart. Wo ein Text schön umschreiben und ausschweifend formulieren kann, da ist eine gute Infografik spitz auf den Punkt. Mit einer vagen Thematik kann ein Infografiker nicht arbeiten. 

Der zweite Tipp steht auch am Anfang der Arbeit. Klären Sie von Anfang an, wofür Sie die Infografik benötigen. Diese Information ist ultimativ wichtig für das Format der Grafik. In welchem Medium wollen Sie veröffentlichen? Wie oft wollen Sie das Medium wechseln? Und ganz wichtig: in welcher Sprache wollen Sie veröffentlichen? All das beeinflusst die Arbeit an der Grafik und all das lässt sich im Nachhinein nur schwer und kostspielig ändern. 

Helfen Sie also Ihrem Dienstleister oder Ihrem Team, Ihr Thema und Ihre Aufgabenstellung so gut wie möglich kennenzulernen. Für mich ist die Arbeit mit einem neuen Kunden immer so, als würde man einen Gegenstand durch eine ganz dicke Wolldecke ertasten wollen. Je mehr Gespräche man führt und je mehr Hintergrundwissen man erlangt, desto dünner wird die Decke. Das Thema bekommt Kontur und wird konkreter. Je schneller die Konturen genau erkannt werden, umso besser, effizienter wird die gemeinsame, kreative Arbeit an der Infografik. Das gilt eigentlich für jede gute Story.

Raimar, vielen Dank für das Gespräch und die Einblicke in deine Arbeit. Wer noch mehr Tipps zum visuellen Storytelling von dir haben möchte, dem empfehlen wir dein Buch „Infografik – Gute Geschichten erzählen mit komplexen Daten“, erschienen im Rheinwerk-Verlag.

 

Und der dpa-Infografik- Award findet wieder im Herbst 2020 statt.
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